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Hoetger, Bernhard; Osborn, Max; Neue Kunst Hans Goltz (Firma); Neue Kunst Hans Goltz (Firma) [Mitarb.]
Bernhard Hoetger: vom 18. bis 28. Februar 1913 — Kollektiv-Ausstellung, Nr. 4: München: Neue Kunst Hans Goltz, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.62300#0003
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BERNHARD HOETGER
VON MAX OSBORN.
Es schwankt etwas wie Frühlingsahnen durch die Kunstluft unserer
Tage. Aus einer Ferne, die unser Auge noch nicht wahrnehmen
kann, tönt ein fremder Klang zu uns herüber, geheimnisvoll, sehn-
suchtweckend, aus unbekannten Harmonien stammend.
Eine neue Welt von überrumpelndem Reichtum war im neunzehnten
Jahrhundert heraufgedämmert. Die Kunst fühlte sich von ihrer
robusten Tatsächlichkeit zuerst beunruhigt, bedroht, und flüchtete sich
mit ihrem gesamten Apparat, mit allen technischen und geistigen
Ausdrucksmitteln, aus der Gegenwart heraus in eine bewusst ge-
suchte Vergangenheitssphäre; sie wurde romantisch. Dann kam die
zweite Periode ihrer Auseinandersetzung mit der modernen Welt:
sie tauchte mit plötzlich begriffener Wonne in die Fülle des neuen
Lebens, wurde konstatierend, forschend, suchte der unendlichen
Vielfältigkeit ringsum durch analytisches Eindringen beizukommen.
Nun stehen wir am Beginn einer dritten Periode. Über das Getöse
der flutenden Ströme des äusseren Lebens haben wir uns beruhigt.
Es verwirrt uns nicht mehr. Es schlägt uns nicht mehr über dem
Kopfe zusammen. Es nimmt uns gewiss in Anspruch, aber nicht
mehr phänomenologisch, sondern nach anderer Richtung. Den ver-
borgenen Urgesetzen spüren wir nach, die es regieren; seinen rätsel-
haften Triebkräften, die aus dem Reich der Mütter stammen.
Man hat von einer „neuen Romantik“ gesprochen, die auf solche Weise
geboren ward. Aber das Wort trifft nicht. Romantik ist entschlossenes
Rückwärtsblicken. Bei uns handelt es sich um ein Ringsumblicken
mit dem Endziel des Vorwärtsblickens. Wir möchten die letzte Essenz
unseres Weltempfindens im bildhaften Symbol gedeutet sehen, und
dieser freien Lust des sinnvollen Spielens und Spiegelns kommen
wohl die Erfahrungen zu Hilfe, die unsere Gattung und unsere indi-
viduelle Anschauung im Umkreis von einigen Jahrtausenden gesam-
melt haben. Aber wir verlieren uns nicht an überlieferte Formen,
sondern entbieten sie selbstherrlich zu unsern neuen Zwecken.

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