auch aus dem Judentum stammt. Mir als Kulturhistori-
ker tritt immer daraus die Erkenntnis entgegen, wie die
Moral und jede ihrer verschiedenen Formen aus den alten
Religionen abgeleitet ist. Es ist doch das wunderbarste
Schauspiel, das uns die Geschichte bietet, wie sich Men-
schen und Völker dem Leben gegenüber zurechtzufinden
suchten und ihm einen Sinn zu verleihen wußten. Mir ist
diese Mannigfaltigkeit auch immer ein Trost; es wäre
zum Verzweifeln, ebenso wenn es nur eine Ethik gäbe,
wie wenn eine absolute Willkür und Regellosigkeit
herrschte."
Und wenn sich in solchen Äußerungen die unbeirrbare
historische Einstellung selbst dem unmittelbar Erlebten
gegenüber ausspricht, so sagt er wohl umgekehrt einmal:
„Ich kleide auch meine ethischen Anschauungen am lieb-
sten in das Gewand historischer Erscheinungen." Da ist
es wohl begreiflich, daß er sich in dieser Zeit wieder
Boethius zuwandte. Von Boethius könnte man wohl
sagen, daß hier das Gewand am durchsichtigsten ist. Er
war ihm immer ein Maßstab höchster Schicksalsbejahung,
jener Resignation, die sich über sich selbst erhebt und
zum höchsten Fluge des Optimismus aufsteigt. Und hier
liegt auch der tiefe Sinn, daß er sich niemals ganz von
ihm löste und andererseits durfte und konnte er ihm
auch kein so steter Begleiter sein, wie etwa Dante, dessen
ethische Größe auch den Historiker durch die unerschöpf-
liche Fülle des realen Lebens immer aufs neue packte und
fesselte. Er sagt von Boethius selbst in den Tagen der
erneuten Zuwendung: „Ich denke manchmal, in meiner
Epoche stärkeren Skeptizismus habe ich an diese Arbeit
nicht gehen können. Jetzt, wo mich alles wieder so sehr
zu einer idealistischen Weltauffassung drängt, kann ich
Golhein, Biographie.
13
193
ker tritt immer daraus die Erkenntnis entgegen, wie die
Moral und jede ihrer verschiedenen Formen aus den alten
Religionen abgeleitet ist. Es ist doch das wunderbarste
Schauspiel, das uns die Geschichte bietet, wie sich Men-
schen und Völker dem Leben gegenüber zurechtzufinden
suchten und ihm einen Sinn zu verleihen wußten. Mir ist
diese Mannigfaltigkeit auch immer ein Trost; es wäre
zum Verzweifeln, ebenso wenn es nur eine Ethik gäbe,
wie wenn eine absolute Willkür und Regellosigkeit
herrschte."
Und wenn sich in solchen Äußerungen die unbeirrbare
historische Einstellung selbst dem unmittelbar Erlebten
gegenüber ausspricht, so sagt er wohl umgekehrt einmal:
„Ich kleide auch meine ethischen Anschauungen am lieb-
sten in das Gewand historischer Erscheinungen." Da ist
es wohl begreiflich, daß er sich in dieser Zeit wieder
Boethius zuwandte. Von Boethius könnte man wohl
sagen, daß hier das Gewand am durchsichtigsten ist. Er
war ihm immer ein Maßstab höchster Schicksalsbejahung,
jener Resignation, die sich über sich selbst erhebt und
zum höchsten Fluge des Optimismus aufsteigt. Und hier
liegt auch der tiefe Sinn, daß er sich niemals ganz von
ihm löste und andererseits durfte und konnte er ihm
auch kein so steter Begleiter sein, wie etwa Dante, dessen
ethische Größe auch den Historiker durch die unerschöpf-
liche Fülle des realen Lebens immer aufs neue packte und
fesselte. Er sagt von Boethius selbst in den Tagen der
erneuten Zuwendung: „Ich denke manchmal, in meiner
Epoche stärkeren Skeptizismus habe ich an diese Arbeit
nicht gehen können. Jetzt, wo mich alles wieder so sehr
zu einer idealistischen Weltauffassung drängt, kann ich
Golhein, Biographie.
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