Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Paul Graupe [Editor]; Paul Graupe (Firma) [Editor]; Kunsthandlung Doktor Otto Burchard (Berlin) [Contr.]
Auktion / Paul Graupe, Antiquariat (Nr. 64): Das alte Berlin: Ölgemälde, Aquarelle, Graphik ; am 8. Mai 1926 — Berlin, 1926

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.23949#0009
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Aus dem alten Berlin.

In dem Vierteljahrhundert, das hinter uns liegt, und das für die liebe-
volle Betrachtung der berlinischen Vergangenheit, für die Erforschung der
Kultur- und Kunstgeschichte unserer Stadt und für die Leidenschaft der
Sammler zu diesem Sondergebiet einen so gewaltigen, unvorhergesehenen
Aufschwung bedeutete, hat es an Auktionen, deren Angebot sich an dies
Interesse wandte, gewiß nicht gefehlt. Aber selten hat sich eine Sammlung
zum freien Verkauf gestellt, die so weit ausholte und nicht nur eine so er-
staunliche Zahl von Dokumenten für das Aussehen der preußischen Haupt-
stadt in den letzten zwei Jahrhunderten, von Proben der feinsten und tüch-
tigsten Berliner Künstler umfaßte, sondern dabei so reich war an Selten-
heiten und Ueberraschungen wie diese hier.

Sie zeigt sich gerade zur rechten Zeit. Denn schon wieder erleben wir
das Schauspiel, daß die lebendige Aktivität des modernen Kolosses an der
Spree mit den fremden Besuchern auch die Einheimischen völlig überwältigt
und berauscht — daß die Allgemeinheit keine Zeit mehr hat, sich um die
geschichtlichen Zusammenhänge zu kümmern, aus denen dies amerikanische
Wunder auf europäischem Boden aufgeschossen ist, und sie zu respektieren.
Um so eifriger ist die engere Gemeinde derer, die sich als Freunde der Kunst
und der Stadt Berlin fühlen, wieder einmal bemüht, mahnend darauf hinzu-
weisen, daß auch dies wüste Agglomerat von Häusern und Zivilisations-
dingen einmal ein organisches Individuum gewesen, daß es einen Charakter
und eine Seele gehabt und eine wunderbare Einheit des äußeren Bildes und
des kulturellen Lebens dargestellt hat.

Die Gemälde und Blätter, die der vorliegende Katalog aufzählt, liefern
hierfür einen köstlichen Beweis. In kaum genossener Klarheit und Voll-
ständigkeit steigt aus ihnen das Bild des alten Berlin auf, seiner Straßen
und Bauten, seiner Menschen, seiner Gewohnheiten, seiner Geselligkeit,
seines Volkslebens — enthüllt sich zugleich die Entwicklung dieses weit-
schichtigen Gebildes. Aufs neue erkennen wir die Grundzüge des berlini-
schen Charakters, die in den Arbeiten der Künstler ebenso ihren Nieder-
schlag fanden wie in ihren Objekten: die Sachlichkeit und den Wirklichkeits-
sinn, diese Gewächse des märkischen Bodens, die aber in den glücklicheren
Zeiten, die hinter uns liegen, durchaus nicht in Trockenheit verdorrten,
sondern aus ihrem Wesen heraus eine eigne künstlerische Sprache von höch-
stem Zauber entfalteten und, obschon oft in einer zierlichen Gravität be-
fangen, auch mit der liebenswürdigen Welt der freien Grazie Beziehungen
anknüpften.
 
Annotationen