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VL Die ästhetische Gestaltung des Buchiunern und das Ornamentale in der Buchausstattung. 93

empfundenen, sanft und zart gezeichneten Bildern schmückte; daneben
seien dann noch die Schiller- und Heine-Nummer und die Märchennummer
genannt, die zu Weihnachten 1900 erschien. Aber noch mehr als den neuen
Stil können wir aus der Jugend lernen: Die geschickte Anordnung von Text-
Illustrationen und Ornamentik, die in jeder Nummer in geschmackvoller
Wechselwirkung zu einander stehen, einander nicht stören, sondern sich gegen-
seitig- ergänzen und so ein harmonisches, geschlossenes und angenehm be-
lebtes Seitenbild ergeben. Gerade diese geschickte, künstlerische Leitung-,
die darauf ausgeht, das Auge erfreuende Effekte zu erzielen, mangelt so vielen
modernen Zeitschriften ; sie fehlt z. B. auch im Simplicissimus, dem künstlerisch
ja auch durchaus nicht eine so weitgehende Bedeutung zuzumessen ist. Neben
den schon genannten Künstlern sind in den letzten Jahren mit Buchschmuck
hervorgetreten: Paul Haustein, H. Nisle, Bernhard Pankok, A. Fiebiger, Fritz
Hegenbart u. a. m.
Der Schwerpunkt der meisten Künstler der Jugend liegt unstreitig-
in den graphischen Darstellungen kleineren Formates; auf diesem Gebiet
behandeln sie mit echt künstlerischen Mitteln phantasievolle Themen, und der
Zauberhauch des deutschen Märchens, der seit Schwinds Zeiten nirgends
mehr in der Kunst geblüht hatte, durchweht ihre Blätter; von dem poe-
tischen Empfinden unserer Tage, von der unverwelkbaren Phantasiekraft
des deutschen Volkes und der unergründlichen Fabulierlust deutscher Maler-
poeten legen sie ein schönes Zeugnis ab und erzählen uns von alten Sagen
und legendären Idyllen, verlebendigen uns die Gestaltenwelt vergangener
Zeiten, erfinden neues hinzu und spinnen so goldene Fäden zwischen Ver-
gangenheit und Jetztzeit. Der Kreis der Jugendkünstler weist viele bedeutende
Künstlerpersönlichkeiten auf, und doch haben nur ganz vereinzelt einige sich
in der Buchillustration bethätigt; es sind Adolf Münzer, Robert Engels und
Paul Rieth. Münzer stattete Mia Holms Mutterlieder mit mehreren Illustrationen
aus, die sich durch gemütvolle Auffassung und einen weichen, fast spiele-
rischen Charme auszeichnen.
Auf Robert Engels wurden die Franzosen aufmerksam und übertrugen
ihm die Illustration von Bédiers Neudichtung des Romans „Tristan et Yseut“,
der im vorigen Jahre in einer Luxusausgabe in Paris und neuerdings auch
in deutscher Uebersetzung- im Verlage von Hermann Seemann Nachfolger in
Leipzig erschienen ist. Vom Standpunkte der Buchdekoration sind gegen dieses
Prachtwerk manche schwerwiegende Einwände zu erheben. Die Schrift ist fest
und klar, giebt aber mit den eingefügten farbigen Illustrationen selten ein ruhiges,
geschlossenes und abgerundetes Seitenbild. Der Pariser Verlag ging von dem
Princip aus, jede Seite sollte einen künstlerischen Schmuck haben; meistens sind
es Illustrationen. Da diese aber nicht ganz ausreichten, wurde hier und da eine
Seite mit einem breiten, dekorativen Rahmen versehen, die von lithographischen
Zeichnern minutiös und kleinlich ausgeführt, gänzlich aus dem Charakter des
Buches herausfallen und darum hässlich und störend wirken. Ferner aber ist
der Druck der farbigen Illustrationen nicht mit Geschick und Verständnis aus-
geführt, meistens ist der schwarze Ton zu stumpf; oft sind durch zu weiche
 
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