124
Entwickelung der modernen Buchkunst in Deutschland.
den Schmerz dieses Wei-
bes, der in jeder Fiber be-
bend zuckt; die Dornen-
umrahmung mit dem kreis-
förmigen Linienspiel, das
den Körper noch mehr in
den Mittelpunkt rückt, und
der gute Gegensatz zwi-
schen Licht und Dunkel er-
höhen die Wirkung. Zarter
und leiser, ruhiger und gedämpfter sind die Linien, die das feine, kindliche
Mädchenantlitz zeichnen mit „weissen Wangen, mit traurigen und bangen
Glutaugen, drin gefangnen der Seele Flamme loht“; um den Kopf herum
rankt sich ein duftiger Weidenzweig. Scharf und fest gezeichnet und stark-
charakterisiert sind die drei Göttergestalten: Wodan, Balder und Loki zu
dem schönen Epos-Fragment „Götterdämmerung“; es heben sich die drei Asen
kräftig voneinander ab, der mächtigste und gewaltigste, Wodan in der Mitte,
Loki, der Listige und Feindselige zur Linken und Balder, der Reinste und
Göttlichste unter ihnen zur Rechten; mit wundervoller Phantasie ist der
Rahmen erfunden, in den die drei Köpfe gesetzt sind; ein Adler trägt im
Schweben auf seinen Krallen den Rahmen und guckt klugen Blickes von
oben auf die drei Götter herunter.
Eine wirklich eminente Grossartigkeit in der Auffassung und Ausführung-
spricht sich in der Schlussseite zu diesem Epos aus, wo Fidus einmal recht
sinnfällig seine bedeutende Begabung für monumentale Dekoration beweist.
Die kühne, trotzige und straffe Linienführung dieser Zeichnung giebt. uns,
verglichen mit der zarten und feinen Zeichnung, Nut und Osiris, einen un-
gefähren Begriff, wie umfassend und weitgespannt die Begabung des Fidus ist.
In diesem Werk erscheint auch Fidus’ Strich wesentlich energischer und be-
stimmter; entschieden tritt uns hier sein Stil vollkommen ausgereift entgegen.
An dieses Buch reiht sich Julius Harts „Triumph Mes Lebens“ (Eug-en
Diederichs, Leipzig), das allerdings
nicht ein so glänzendes und erschöpf-
endes Bild von Fidus als Buch-
schmuckkünstler giebt, wie Stuckens
Balladen.
Aus neuester Zeit ist dann noch
die Ausstattung- des neuromantischen
Romans „Die Offenbarungen des
Wachholderbaums“ von Bruno Wille
zu erwähnen, den Fidus mit vielen
kleinen Randleisten, Vignetten und
Kopf- und Schlussstücken ausstattete.
Das Buch selbst liest sich wie eine
Ode auf die erhabene Einheit der Welt-
Fidus. il II
Vignette.
Fidus. Kopfleiste. Aus Bruno Wille „Offenbarungen
des Wachholderbaums“. Eugen Diederichs, Leipzig.
Entwickelung der modernen Buchkunst in Deutschland.
den Schmerz dieses Wei-
bes, der in jeder Fiber be-
bend zuckt; die Dornen-
umrahmung mit dem kreis-
förmigen Linienspiel, das
den Körper noch mehr in
den Mittelpunkt rückt, und
der gute Gegensatz zwi-
schen Licht und Dunkel er-
höhen die Wirkung. Zarter
und leiser, ruhiger und gedämpfter sind die Linien, die das feine, kindliche
Mädchenantlitz zeichnen mit „weissen Wangen, mit traurigen und bangen
Glutaugen, drin gefangnen der Seele Flamme loht“; um den Kopf herum
rankt sich ein duftiger Weidenzweig. Scharf und fest gezeichnet und stark-
charakterisiert sind die drei Göttergestalten: Wodan, Balder und Loki zu
dem schönen Epos-Fragment „Götterdämmerung“; es heben sich die drei Asen
kräftig voneinander ab, der mächtigste und gewaltigste, Wodan in der Mitte,
Loki, der Listige und Feindselige zur Linken und Balder, der Reinste und
Göttlichste unter ihnen zur Rechten; mit wundervoller Phantasie ist der
Rahmen erfunden, in den die drei Köpfe gesetzt sind; ein Adler trägt im
Schweben auf seinen Krallen den Rahmen und guckt klugen Blickes von
oben auf die drei Götter herunter.
Eine wirklich eminente Grossartigkeit in der Auffassung und Ausführung-
spricht sich in der Schlussseite zu diesem Epos aus, wo Fidus einmal recht
sinnfällig seine bedeutende Begabung für monumentale Dekoration beweist.
Die kühne, trotzige und straffe Linienführung dieser Zeichnung giebt. uns,
verglichen mit der zarten und feinen Zeichnung, Nut und Osiris, einen un-
gefähren Begriff, wie umfassend und weitgespannt die Begabung des Fidus ist.
In diesem Werk erscheint auch Fidus’ Strich wesentlich energischer und be-
stimmter; entschieden tritt uns hier sein Stil vollkommen ausgereift entgegen.
An dieses Buch reiht sich Julius Harts „Triumph Mes Lebens“ (Eug-en
Diederichs, Leipzig), das allerdings
nicht ein so glänzendes und erschöpf-
endes Bild von Fidus als Buch-
schmuckkünstler giebt, wie Stuckens
Balladen.
Aus neuester Zeit ist dann noch
die Ausstattung- des neuromantischen
Romans „Die Offenbarungen des
Wachholderbaums“ von Bruno Wille
zu erwähnen, den Fidus mit vielen
kleinen Randleisten, Vignetten und
Kopf- und Schlussstücken ausstattete.
Das Buch selbst liest sich wie eine
Ode auf die erhabene Einheit der Welt-
Fidus. il II
Vignette.
Fidus. Kopfleiste. Aus Bruno Wille „Offenbarungen
des Wachholderbaums“. Eugen Diederichs, Leipzig.