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NEUNTES KAPITEL.
EUGEN DIEDERICHS.

o sehr auch manche sich bemühten, in Unverständnis und Leichtsinn die


o eben dem Boden entsprossene junge Buchkunst in die Breite zu ziehen,
ihr Geäst in die Weite zu verzweigten und ihr so die Kraft zu dem Höhen-
wuchs zu nehmen, sie schoss doch in die Höhe. Die junge Bewegung- zur
Reform der Buchausstattung verlief nicht im Sande; steigende Weiter-
entwickelung hob sie empor und klärte die irrenden und gährenden Be-
strebungen. Und das ist zu einem nicht geringen Teile dem jungen und
rührigen Leipziger Verleger Herrn Eugen Diederichs zu danken, dessen Grund-
prinzip bei der Gründung- seines Verlag-es bald eine bis ins kleinste Detail
durchbildete, künstlerische Ausstattung des Buches wurde. Er sagte sich:
das ganze Buch soll ein Kunstwerk sein ; und als solches hat es eine
bedeutsame Kulturmission zu erfüllen, die sich nicht allein auf den Inhalt be-
schränkt, sondern durch ein delikates Gewand die Freude am Schönen, das
Bedürfnis nach Kunst in die weitesten Schichten der Bevölkerung zu tragen
berufen ist.
Diederichs erste grössere Publikation im Jahre 1898 war Hans Blums
Revolutionsgeschichte von 1848—1849; und gleich mit diesem Werke trat
ein neuer, junger Künstler vor das deutsche Publikum, Johann Vincenz Cissarz,
der eine Titelzeichnung zu diesem Buche entwarf. Ohne das Zuthun des
Künstlers oder des Verlegers erlangte dieser Umschlag seiner Zeit eine ge-
wisse Berühmtheit, da er in Naumburg a. S. seiner „aufreizenden Tendenzen“
wegen beschlag-nahmt wurde, die ein reaktionärer Staatsanwalt subalterner Ge-
sinnung in diesem Blatte zu erblicken glaubte.
Die Zeichnung zeigt im Hintergründe eine türmereiche, durch eine starke
Mauer befestigte Stadt, auf die sich ein Haufe bewaffneter Männer zubewegt,
sich aufbäumend gegen die Unbill des Adels, im Herzen eine wildlohende,
heilige Begeisterung, zu kämpfen für Freiheit und Recht. Hinterdrein, die
Sense über der Schulter, hämisch, tückisch grinsend, schreitet der Tod, einen
Lorbeerkranz auf dem kahlen Knochenschädel. Es ist eine gross empfundene
Konzeption voll tiefer, tragischer Schönheit, die uns mit dramatischer Wucht
ergreift und erschüttert; es ist „die Revolution“. Man denkt bei diesem Blatt
an Dürer; so gewaltig ist sein Ernst. Die herbe, energische Linienführung,
die doch nicht hart und trocken wirkt, die düsteren, gedämpften, schlichten
Farben sagen uns, dass wir hier vor einem starken und eigenwüchsigen
Künstler stehen. Mit den Vorzügen' der Zeichnung verbindet sich eine feine
dekorative Wirkung als Buchumschlag. Nach dieser, seiner ersten Schöpfung-
durfte man grosse Hoffnungen auf Cissarz setzen; und er hat uns in seinen
späteren Arbeiten nicht enttäuscht. Lag schon wie ein zarter Nebel über
einer Landschaft im Morgensonnenglanz über jenem ersten Blatte eine leise,
verhaltene Wehmut, eine weiche Melancholie und traumselige Sentimentalität,
so finden wir in den späteren Arbeiten von Cissarz diesen lyrischen Zug in
noch volleren Akkorden erklingen. Cissarz ist in seinen Zeichnungen vor-
 
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