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Grautoff, Otto; Rodin, Auguste [Ill.]
Rodin — Künstler-Monographien, Band 93: Bielefeld, Leipzig: Verlag von Velhagen & Klasing, 1911

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https://doi.org/10.11588/diglit.55313#0118
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und unmittelbarer als wir Hellsichtigen und In-
tellektuellen. Die Kambodschaner Tänzerinnen waren
für Rodin ein bedeutendes Erlebnis, das die Stil-
wandlung, in der er sich befand, vollendete.
Die leicht angetuschten Handzeichnungen aus
den letzten drei Jahren, die sich unmittelbar an
die Zeichnungen der Tänzerinnen von Kambodscha
(Abb. 115, 116 u. 120) anschließen, gehören zu dem
Schönsten, Natürlichsten, Einfachsten, zum Bedeutend-
sten, was Rodin überhaupt geschaffen hat. Amphore,
Kleopatra, Apollo und der Ozean, Toilette der
Sirene, Medea, Tempel der Liebe, Daphnis und
Ehloe, antike Frau, Phryne, kleine Japanerin,
Ägypterin sind ein paar Titel, die besagen, in
welcher Geistesrichtung sich Rodin bewegte. Diese
Titel aber dürfen und sollen niemanden verwirren.
Die Handzeichnung, die ein Aphorismus, die Nieder-
schrift eines Gedankens, eines Gesichtes ist, erschöpft
das Thema nicht und ist natürlich — dies sei für
Laien bemerkt — „nicht ausgeführt" in dem Sinne,
wie der Laie „ausgeführt" versteht. Die Titel sollen
nichts weiter als dem Laien noch einmal in Buch-
staben sagen, was Rodin dem feiner Empfindenden
in seinen Handzeichnungen durch Stift und Tusche
verständlich genug macht. Sie sollen sagen, daß Rodin hier ein antikes Motiv,
dort ein ägyptisches und dort wieder ein indisches oder japanisches Motiv oder

Abb. 117. Phryne. (Zu Seite 113.)


eine indische oder japanische Form vorschwebte. In diesen Handzeichnungen lehrt
er uns die Antike und den Orient mit ganz neuen Augen sehen; die großen,
reinen Linien der Antike und die bewegte und behende Beredsamkeit der orientalischen
Körper. Auf eine so einfache und schlichte Formel hat uns noch kein Künstler


8 Abb. 118. Aktstudic. (Zu Seite 113.) V

die orientalische Welt zurückgeführt. Die
meisten Zeichnungen sind mit Bleistift rasch
aufs Papier geworfen und leicht rot, gelb
und blau angetuscht. Auf eine wunderbare
Art erreicht er in ihnen eine prachtvolle
Plastizität der Formen; durch eine rätsel-
hafte Art der Pinselführung weiß er oft
in den angetuschten Flächen Licht- und
Schattenwirkung hervorzuheben, so daß die
Form in ihrer ganzen Schönheit und Voll-
endung vor unserem Auge lebendig wird.
Die Gesprächigkeit der Gesten ist in diesen
kurzen Notizen wundervoll ausgedrückt. Ab-
sichtlich wie in seinen Ton- und Wachs-
studien sind auch hier der Körper über-
schlank, die Glieder, die Hände und Füße
übergroß gebildet. Der Hauptakzent ist auf
das Bewegungsmotiv, auf die Stellung der
Glieder in den Gelenken, auf die Stellung
der Glieder zum Torso gelegt. Auch hier
ist die Natur übertrieben und stilisiert in
Rücksicht auf eine Verstärkung des Aus-
drucks. Dies ist eine ganz andere Art der
Zeichenkunst, als wie Rembrandt und Michel-
 
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