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Grautoff, Otto; Rodin, Auguste [Ill.]
Rodin — Künstler-Monographien, Band 93: Bielefeld, Leipzig: Verlag von Velhagen & Klasing, 1911

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https://doi.org/10.11588/diglit.55313#0122
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seine Arbeiten; dem Lichtspiel auf seinen Skulpturen ist jede Herbheit und Härte
genommen. Henri Matisse, in dem die jüngste französische Malergeneration ihren
Führer sieht, ist in seinen Skulpturen ähnliche Wege wie Rosso gegangen. Seine
Figuren sind in den fliehenden Schatten der Atmosphäre getaucht, auch er ist wie
Rosso der Meister der Fragmente, in denen der Umriß sich weich verwischt und
das Fleisch als Materie das Schönste ist. Der Norweger Gustav Vigeland, auf
den Stanislas Przybyszewski schon vor fünfzehn Jahren die Aufmerksamkeit der
Deutschen lenkte, hat Rodins Art eine neue Note hinzugefügt. Auch Vigelands
Skulpturen sind der Ausdruck eines inneren Kampfes. Eine hochdramatische Note,
die Ekstase der Liebe, das Kreischen der Lebensangst ist das Zeichen seiner Kunst.
Auch er geht ganz von malerischen Gesichtspunkten aus; formal knüpft er an das
Gotische in Rodins Kunst an. Hier hat auch der Belgier George Minne eingesetzt.
Er hat sich ganz in den gotischen Geist versenkt und aus ihm heraus eine Reihe
unendlich feiner, durchseelter Skulpturen von zarter, keuscher und leidender Grazie
geschaffen. Aber vergessen wir nicht, Rodin ist das Ende einer langen Entwicklungs-


Abb. 121. Rodins Villa und Atelier in Meudon bei Paris. (Zu Seite 37.)

kette — ein Ende, über das es kein weiteres Hinaus mehr gibt. Sein grandioser
Abschluß enthält für die Zukunft keine Entwicklungsmöglichkeiten mehr. Sein
Ewigkeitswert liegt in ihm selbst; aber nicht darin, daß die Prinzipien und die
Technik seiner Skulptur — die Plastik der Späteren tyrannisiert. Auch Rodins
Kunst ist nur ein Ideal. Später Geborene müssen, wie er es tat, aus der Natur
und der Tradition neue Möglichkeiten entwickeln, um ihrer Zeit ein Symbol zu
schaffen. Jede Generation soll ihren Stil gestalten, in Ehrfurcht vor der Ver-
gangenheit, im Durchdringen der Gegenwart, im Verantwortungsgefühl gegen
die Zukunft.
So trat dann also auch eine Reaktion auf den Plan, die noch zu jung ist,
die noch zu sehr im Werden ist, deren Resultate noch zu gering sind, als daß
man über sie schon heute zu einem definitiven Urteil gelangen könnte. Rodins
Prinzip von den Buckeln und Höhlungen ist bis in die letzten Möglichkeiten aus-
gebaut worden; er selbst deutet ja in seinen letzten Handzeichnungen, die auf die
frühgriechische Kunst, auf ägyptische und assyrische Vorbilder zurückgehen, eine
Reaktion an. Hier knüpfte Aristide Maillol an. Die beiden Aktstudien Rodins,
die hier reproduziert sind, mögen etwa den Ausgangspunkt dieser Entwicklung
 
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