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Einstweilen scheint Jörg Syrlin d. Aelt. überhaupt noch nicht
den Ehrgeiz besessen zu haben, «Bildhauer» genannt zu wer-
den. Die eigentliche Kunst des Bildschnitzens bildet sich offen-
bar erst spät bei ihm aus, und die kleinen Figuren am Lese-
pult, die mehr als rein dekorative Bestandteile, ohne selbstän-
diges Leben, gedacht sind, erweisen sich schließlich nur als
ein schwacher Ansatz zu höherer Gestaltungsgabe L
Noch aus dem Jahre 1465 stammt eine reine Schreiner-
arbeit, die uns Syrlin allerdings mit allen Feinheiten dieses
Handwerkes vertraut zeigt: ein im Besitze des Freiherrn von
Lupin auf Illerfeld (bei Memmingen) befindlicher Schrank2.
Die breit-rechteckige Vorderfläche ist durch einen orna-
mentierten Fries, mit Wappenschilden an den Enden, in zwei
Hälften geteilt und diese wieder öffnen sich in je zwei Türen.
Ringsum laufen reichgeschnitzte Borten, oben : unter dem gleich-
falls verzierten Gesims ein durchbrochenes Rosettenmuster,
seitlich: Weinranken, auf den abgeschrägten Kanten: geome-
trisches Ornament, unten an dem kräftigen Fußgestell des
Schrankes: freistilisiertes Blattwerk. Die mit hellem und mat-
tem Gold behandelten Schnitzereien heben sich von einem teils
grünen, teils roten Hintergrund ab und kontrastieren mit der
Farbe des braungebeizten gemaserten Holzes, das in dicker
Furnitur den Zwischenraum überzieht. Die vier Türen, mit
viereckigen, flachen Vertiefungen in der Mitte, wirken wie
Rahmen ohne Bilder. Kunstvolle Beschläge an den Schlössern
zu Sterzing, Abb. bei Stadler T. 7) derselben Hand zuweist wie das über-
aus weichliche Christusbild (ebenda in einem Raum hinter dem Altar auf-
bewahrt), so stürzt er damit seine eigene These. Letztere Skulptur weist
stilistisch überhaupt auf eine spätere Zeit als die Sterzinger Altarfiguren,
speziell als die Apostelbüsten. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, daß
sie erst nach Auseinandernahme des großen Altars nachträglich zur Ver-
vollständigung der vorhandenen Gruppe angefertigt wurde. Dafür spricht
auch die spätere Auffindung an getrenntem Fundort, worüber ich in Sterzing
verbürgte Nachricht erhielt.
1 Es leuchtet ein, daß Syrlin in dieser Zeit noch nicht die Kraft be-
saß, Freifiguren zu schaffen, die ihn zu einer Mitarbeit am Multscher Altar
befähigt hätten, der ja schon 1458 fertig gestellt wurde.
2 Maße: h = 2,30 m / In der einschlägigen Literatur nur erwähnt
b. = 1,92 > , von der Allg. d. Biographie Bd. 37, S. 166ff.
t = 0,62 » 1 — Die genauen Angaben über Beschaffen-
heit und Herkunft des Schrankes verdanke ich der Liebenswürdigkeit des
Eigentümers.
Einstweilen scheint Jörg Syrlin d. Aelt. überhaupt noch nicht
den Ehrgeiz besessen zu haben, «Bildhauer» genannt zu wer-
den. Die eigentliche Kunst des Bildschnitzens bildet sich offen-
bar erst spät bei ihm aus, und die kleinen Figuren am Lese-
pult, die mehr als rein dekorative Bestandteile, ohne selbstän-
diges Leben, gedacht sind, erweisen sich schließlich nur als
ein schwacher Ansatz zu höherer Gestaltungsgabe L
Noch aus dem Jahre 1465 stammt eine reine Schreiner-
arbeit, die uns Syrlin allerdings mit allen Feinheiten dieses
Handwerkes vertraut zeigt: ein im Besitze des Freiherrn von
Lupin auf Illerfeld (bei Memmingen) befindlicher Schrank2.
Die breit-rechteckige Vorderfläche ist durch einen orna-
mentierten Fries, mit Wappenschilden an den Enden, in zwei
Hälften geteilt und diese wieder öffnen sich in je zwei Türen.
Ringsum laufen reichgeschnitzte Borten, oben : unter dem gleich-
falls verzierten Gesims ein durchbrochenes Rosettenmuster,
seitlich: Weinranken, auf den abgeschrägten Kanten: geome-
trisches Ornament, unten an dem kräftigen Fußgestell des
Schrankes: freistilisiertes Blattwerk. Die mit hellem und mat-
tem Gold behandelten Schnitzereien heben sich von einem teils
grünen, teils roten Hintergrund ab und kontrastieren mit der
Farbe des braungebeizten gemaserten Holzes, das in dicker
Furnitur den Zwischenraum überzieht. Die vier Türen, mit
viereckigen, flachen Vertiefungen in der Mitte, wirken wie
Rahmen ohne Bilder. Kunstvolle Beschläge an den Schlössern
zu Sterzing, Abb. bei Stadler T. 7) derselben Hand zuweist wie das über-
aus weichliche Christusbild (ebenda in einem Raum hinter dem Altar auf-
bewahrt), so stürzt er damit seine eigene These. Letztere Skulptur weist
stilistisch überhaupt auf eine spätere Zeit als die Sterzinger Altarfiguren,
speziell als die Apostelbüsten. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, daß
sie erst nach Auseinandernahme des großen Altars nachträglich zur Ver-
vollständigung der vorhandenen Gruppe angefertigt wurde. Dafür spricht
auch die spätere Auffindung an getrenntem Fundort, worüber ich in Sterzing
verbürgte Nachricht erhielt.
1 Es leuchtet ein, daß Syrlin in dieser Zeit noch nicht die Kraft be-
saß, Freifiguren zu schaffen, die ihn zu einer Mitarbeit am Multscher Altar
befähigt hätten, der ja schon 1458 fertig gestellt wurde.
2 Maße: h = 2,30 m / In der einschlägigen Literatur nur erwähnt
b. = 1,92 > , von der Allg. d. Biographie Bd. 37, S. 166ff.
t = 0,62 » 1 — Die genauen Angaben über Beschaffen-
heit und Herkunft des Schrankes verdanke ich der Liebenswürdigkeit des
Eigentümers.