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Grimm, Herman; Grimm, Herman [Hrsg.]
Fragmente (Band 1,1) — Berlin, Stuttgart: Spemann, 1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.47241#0043
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19

Vergleichen wir Goethe in der dreifachen Gestalt, in der
die drei Niederzeichner vertraulicher Aeußerungen aus seinem
Munde ihn erscheinen lassen, so ist er für jeden von ihnen
ein Anderer gewesen. Für Heinrich Voß, den hingebenden,
im Verkehre mit den Gestalten des Alterthums lebenden jun-
gen Philologen, war Goethe eine hohe Persönlichkeit, die aus
dem activen Dienste beinahe ausgetreten, sich dichterischen und
gelehrten Neigungen nun voll überläßt. Kein Minister mehr,
kein Hofmann, kein im äußeren Ehrgeize vorwärts strebender
Mann, sondern eine Art Professor, dem Treiben der Gesell-
schaft und der Beamten sich fernhaltend und im Genügen
dessen, was von ihm erreicht worden ist, nur auf sich beruhend.
Leben vom Tage zum Tage. Nichts Problematisches aber in
dieser Existenz. Keine Zweifel in der Seele. Leises Abwehren
der Gegenwart und unmittelbares Herantreten an die histo-
rischen Erscheinungen der früheren Epochen.
Zwanzig Jahre waren seitdem verflossen, als Eckermann
eintrat. Goethe, wie Eckermann ihn erscheinen läßt, hat
während dieser Zeit organisch sich zu der feierlichen Ruhe er-
hoben, in der er nun in Handlungen und Gesprächen sich
abermals einem „Schüler" offenbart. Goethe's Mittheilungen
sind nun wie die eines alten Fürsten. Er erwägt die Worte
und bequemt sie dem Verständnisse dessen an, der sie empfängt.
Man wehrt die Vermuthung nicht ab, als habe er eine Auf-
zeichnung seiner Aeußerungen voransgesehen und ihnen dar-
aufhin beim Sprechen bereits eine gewisse Form gegeben. Sie
haben etwas von Vorträgen. Wie das auch in seinen Briefen
an Zelter der Fall ist, dem er seine Gedanken gleichmäßigen
Tones autoritativ zu erkennen gibt. Wie sehr dagegen nur
um seiner selbst willen hatte Goethe dreißig Jahre vor Ecker-
 
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