Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Grimm, Herman; Grimm, Herman [Editor]
Fragmente (Band 1,1) — Berlin, Stuttgart: Spemann, 1900

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.47241#0044
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
20

mann Schillern seine innersten Überzeugungen klar zu machen
versucht! Als er Schiller schreibt und mit ihm spricht, um-
fängt ihn noch die treibende, zukunftsvolle Gegenwart: im
Verkehr mit Eckermann erscheint die Vergangenheit als den
ständige Wohnort seiner Seele. Wie Leute höchsten Alters
die freie Luft uicht mehr als ihr natürliches Element ansehen,
sondern, auch wenn sie sie aufsuchen, stets doch geschlossene
Räume als ihre eigentliche Residenz verlassen, um in sie zurück-
zukehren, so scheint Eckermann's, im bequemen weißen Wollen-
rocke Abends ausruhend dasitzender Goethe, der, statt selbst
ins Theater zu gehen. Andere hineinschickt, die ihm hinterher
dann darüber berichten, unserer Phantasie den typischen An-
blick zu bieten, in dem wir ihn in jenen Jahren vor Augen
haben. Der Gedanke, sich innerhalb eines Daseins zu befin-
den, das nun bald zu verlassen sei, beherrscht ihn ganz in der
Tiefe doch wohl zumeist.
Und in denselben Jahren aber läßt der Kanzler von
Müller Goethe doch in so ganz anderer Gestalt auftreten k
Da ist er der zwar als Mitspieler den Geschäften ferngerückte,
für immer beseitigte Minister, mit voller Energie jedoch die
alte Thätigkeit in der Stille fortführend und diejenigen con-
trolirend, welche factifch nun am Ruder sind: der dem Alter
noch auf Decennieu hinaus fernstehende Kanzler von Müller
als ihr vornehmster Vertreter. Unverwüstliche Jugendlichkeit
gibt den Ton an. Mitten unter sich bewegenden jüngeren
Männern will Goethe sich, wenn auch alt, nicht weniger selbst
noch mitbewegen. Den Eindrücken, die von neuen Personen
und Thatsachen ausgehen, gibt auch er sich uoch hin. Er
überblickt das Geschehene, er beurtheilt das sich Ereignende..
Keine seiner alten Kräfte scheint ihm untreu geworden zu sein..
 
Annotationen