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Grimm, Herman; Grimm, Herman [Editor]
Fragmente (Band 1,1) — Berlin, Stuttgart: Spemann, 1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.47241#0079
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55

Und sie fristen das flüchtige Leben
Gerne dem Sterblichen, wollen ihm gerne
Ihres eigenen, ewigen Himmels
Mitgenießendes fröhliches Anschau'n
Eine Weile gönnen und lassen.
Ich empfinde das beinahe Schleppende im trochäischen
Tonfalle des Schlußverses. Ich sage mir zugleich: die
dauernden Umänderungen dieser letzten Verse zeigen, welchen
Werth Goethe einst auf sie legte. In Rom erst hatte er die
Stimmungen überwunden, denen dieses Schwanken entsprang.
Er fühlte sich frei vom Drucke des Weimaraner bedrängenden
Hofhimmels und der harten Unsterblichen dort. An denen
Lenz, wie wir sahen, zum Tantalus wurde. Er hatte das
hinter sich. Die bloße „Weile" des Mitgenusses dieser Herrlich-
keiten dauerte bei den früheren Fassungen des Stückes noch:
in Rom leuchtete anderer olympischer Sonnenschein als in
Weimar. Goethe hat in der römischen Bearbeitung, wie auch
an anderen Stellen hervortritt, sorgsam verwischt, was in der
ersten Fassung etwa an persönliche Empfindungeil älterer Tage
erinnern könnte. Durch die an elastische Versmaße sich an-
lehnende Diction hat er der Anrede an die Göttin gemäßig-
teren Klang verliehen. Die leidenschaftliche frühere Gestalt
des Monologes gab die Gedanken im reinmenschlichen Sinne
freilich kräftiger. Früher hatte Goethe das Antiquarische aus
dem Stücke ferngehalten und es dadurch den mitempsindenden
Zeit- und Gesellschaftsgenossen vertrauter gemacht. Der ersten
weimarischen Fassung von Iphigeniens letztem Gebete wäre
die in Rom zngesetzte Beschreibung Diana's ein bloß ange-
hängter entbehrlicher Schmuck gewesen, der die Innigkeit der
Gedanken störte: in Nom dagegen umgab das Alterthum
Goethe jetzt als eine zweite, höhere Natur, und so verwandelte
 
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