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er diese Verse des Dranras in etwas, das seinem nunmehr
um großartigere Erfahruugeu sich bereichernden Geiste ent-
sprach. Im vaticanischer Museum stand die Göttin sichtbar
vor seinen Angen, deren „Licht, das Leben der Nacht", er
nun hinzufügte.
In Deutschland aber hatten seine mit Rom unbekannten
Weimaraner Freunde diese Wandlung nicht mit Goethe durch-
gemacht: sie empfanden den Zusatz wiederum als hinein-
getragenes Beiwerk. Wir erinnern uns des Urtheils der
Weimaraner bei Empfang des Stückes in der römischen
Redaction: Iphigenie sei ihnen lieber in der alten Form.
Jedes Wort war Goethe's intimen Freunden dort bekannt
und die Bedeutung geläufig. Nun empfingen sie eine diesen
tieferen Sinn verwischende Ueberarbeitung, deren Versschönheit
sie als oberflächlichen Reiz ansahen. Es läßt sich diese hör-
bare Mißbilligung noch aus anderen Stellen der weimarischen
und der italienischen Redaction der Dichtung in manchen
Aeußeruugen erhalten. Wir wissen, wie Wieland und Herder
dachten. Wir verfolgen diese Veränderungen der letzten Hand
durch alle Aufzüge hindurch, und jedesmal erregen sie auch bei
uns ähnliche Betrachtungen. Nur im Nothfalle aber, wenn
Sinnveränderungen damit verbunden sind, gehe ich ihnen hier
nach. Die Umgestaltung ist oft eine merkliche. In Rom,
wo Goethe eine aus den Quellen des Alterthums direct her-
fließende Sprache, die italienische, zuerst lebendig umgab —
denn das Bißchen Frankfurter und Elsässer Französisch war
nichts —, beginnt Goethe's Verständnis des durch Jahr-
hunderte sprachlicher Cultur gemäßigten Geistes der antiken
Dichtkunst. Das bezaubernde Element, in das er sogar Schiller
mit hineinriß. Die leidenschaftliche Prosa war ihm unerträg-
er diese Verse des Dranras in etwas, das seinem nunmehr
um großartigere Erfahruugeu sich bereichernden Geiste ent-
sprach. Im vaticanischer Museum stand die Göttin sichtbar
vor seinen Angen, deren „Licht, das Leben der Nacht", er
nun hinzufügte.
In Deutschland aber hatten seine mit Rom unbekannten
Weimaraner Freunde diese Wandlung nicht mit Goethe durch-
gemacht: sie empfanden den Zusatz wiederum als hinein-
getragenes Beiwerk. Wir erinnern uns des Urtheils der
Weimaraner bei Empfang des Stückes in der römischen
Redaction: Iphigenie sei ihnen lieber in der alten Form.
Jedes Wort war Goethe's intimen Freunden dort bekannt
und die Bedeutung geläufig. Nun empfingen sie eine diesen
tieferen Sinn verwischende Ueberarbeitung, deren Versschönheit
sie als oberflächlichen Reiz ansahen. Es läßt sich diese hör-
bare Mißbilligung noch aus anderen Stellen der weimarischen
und der italienischen Redaction der Dichtung in manchen
Aeußeruugen erhalten. Wir wissen, wie Wieland und Herder
dachten. Wir verfolgen diese Veränderungen der letzten Hand
durch alle Aufzüge hindurch, und jedesmal erregen sie auch bei
uns ähnliche Betrachtungen. Nur im Nothfalle aber, wenn
Sinnveränderungen damit verbunden sind, gehe ich ihnen hier
nach. Die Umgestaltung ist oft eine merkliche. In Rom,
wo Goethe eine aus den Quellen des Alterthums direct her-
fließende Sprache, die italienische, zuerst lebendig umgab —
denn das Bißchen Frankfurter und Elsässer Französisch war
nichts —, beginnt Goethe's Verständnis des durch Jahr-
hunderte sprachlicher Cultur gemäßigten Geistes der antiken
Dichtkunst. Das bezaubernde Element, in das er sogar Schiller
mit hineinriß. Die leidenschaftliche Prosa war ihm unerträg-