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Grimm, Herman; Grimm, Herman [Editor]
Fragmente (Band 1,1) — Berlin, Stuttgart: Spemann, 1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.47241#0122
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annehmen durfte. Schöner ist einer Frau wohl nie gehuldigt
worden.
Thoas weiß nichts mehr zu erwiedern. „So geht!"
sagt er. Iphigenie aber läßt ihn so nicht stehen. Sie ver-
langt mehr als dieses dumpfe Zugeständniß. Sie redet von
ihm selbst. Mit den Gedanken schon in Hellas wieder heimisch,
blickt sie auf Thoas und sein Volk zurück, und in der Er-
innerung nehmen sie andere Gestalt vor ihr an. Ihre Worte
dürfen aus dem Zusammenhänge heraus hier abgerissen nicht
wiederholt werden. Mau sieht, wie dieser rauhe, in seinen
letzten Ansprüchen auf irdisches Glück vernichtete Mann den
Schritt thut, dem Ideale zu entsprechen, das Iphigenie in
ihn gelegt, erweckt, gepflegt und nun zur Blüthe gebracht
hatte. Er reicht ihr die Hand. „Lebt wohl!" sagt er.
Damit schließt das Stück. —
X.
Thoas' letzte Worte finden wir als den Schluß einer
Tragödie, die ich unter denen Racine's als die einzige ansehe,
die in unserem Sinne erlebtes wirkliches Leben enthält:
Berenice. Wenn Goethe sie gekannt hat, und das „^äisir,
LkiAirsur" des französischen Stückes in jenem „Lebt wohl"
nachklang, so hätte es doch die Kräfte des französischen Tragikers
überboten, die Steigerung von „So geht!" zum „Lebt wohl!"
zu finden. Auch bei Shakespeare begegnen wir Unterschieden
von solcher Feinheit nicht. Dergleichen zu empfinden und in
Worte zu fassen, ist einzig Goethe berufen gewesen. Aber
ich fühle den Drang, Beethoven hier zu nennen. Dem hätte
die Macht innegewohnt, für Beides den musikalischen Werth
zu finden.
 
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