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Rcrcine's Berenice enthält die Trennung zweier Menschen,
die, scheinbar fest für einander bestimmt, durch äußere
Fügungen des Schicksals auf ewig getrennt werden. Titus
glaubte Berenice zur Kaiserin erheben zu dürfen; die Wirk-
lichkeit der Dinge zeigte ihm und ihr, daß es unmöglich sei.
Ihr letztes Gespräch endet mit einer freiwilligen Trennung
Beider, und Berenice ist es, die Titus die Freiheit zurück-
gibt. Doch ich erinnere an Racine nur, weil in Goethe's
Iphigenie ein Nachklang der tragischen Bühnendichtung Frank-
reichs erblickt worden ist, welche zu seiner Zeit selbst noch des
höchsten Ansehens genoß, und deren Verse wie für Friedrich
den Großen, auch für Carl August etwas Bezauberndes hatten.
Für den Herzog war die französische Tragödie das Legitime,
das zu Recht Bestehende. Goethe wollte mit seiner Iphigenie
vielleicht zeigen, daß man auch iu deutscher Sprache große
und intime Gefühle auf die Bühne zu bringen vermöge. Es
war wohl eine Abschrift der älteren Iphigenie, die Goethe
im April 1780 an Dalberg nach Erfurt sandte, damit das
Stück „einige Erinnerungen an das französische Theater wieder
lebendig werden ließe". Und das hatte er auch vielleicht im
Sinne, wenn er später sagt, er habe Iphigenie in Italien
„um der Kunst und um des Handwerkes willen umgearbeitet".
Wir heute lassen all das unberücksichtigt, wenn Iphigenie in
ihrer letzten und einzigen Gestalt, in der römischen, auf uns
wirkt. Wir können bei Goethe nicht mehr bloß den Gang
feiner inneren Entwicklung vor Augen haben, wenn es sich
um diejenigen Schöpfungen seines Geistes handelt, die unab-
hängig von ihm ihre eigene Laufbahn begonnen haben. Iphi-
genie ist als Weltcharakter dem Zusammenhänge mit Goethe
entwachsen. Sie steht den Nationen gegenüber. In so viel
Rcrcine's Berenice enthält die Trennung zweier Menschen,
die, scheinbar fest für einander bestimmt, durch äußere
Fügungen des Schicksals auf ewig getrennt werden. Titus
glaubte Berenice zur Kaiserin erheben zu dürfen; die Wirk-
lichkeit der Dinge zeigte ihm und ihr, daß es unmöglich sei.
Ihr letztes Gespräch endet mit einer freiwilligen Trennung
Beider, und Berenice ist es, die Titus die Freiheit zurück-
gibt. Doch ich erinnere an Racine nur, weil in Goethe's
Iphigenie ein Nachklang der tragischen Bühnendichtung Frank-
reichs erblickt worden ist, welche zu seiner Zeit selbst noch des
höchsten Ansehens genoß, und deren Verse wie für Friedrich
den Großen, auch für Carl August etwas Bezauberndes hatten.
Für den Herzog war die französische Tragödie das Legitime,
das zu Recht Bestehende. Goethe wollte mit seiner Iphigenie
vielleicht zeigen, daß man auch iu deutscher Sprache große
und intime Gefühle auf die Bühne zu bringen vermöge. Es
war wohl eine Abschrift der älteren Iphigenie, die Goethe
im April 1780 an Dalberg nach Erfurt sandte, damit das
Stück „einige Erinnerungen an das französische Theater wieder
lebendig werden ließe". Und das hatte er auch vielleicht im
Sinne, wenn er später sagt, er habe Iphigenie in Italien
„um der Kunst und um des Handwerkes willen umgearbeitet".
Wir heute lassen all das unberücksichtigt, wenn Iphigenie in
ihrer letzten und einzigen Gestalt, in der römischen, auf uns
wirkt. Wir können bei Goethe nicht mehr bloß den Gang
feiner inneren Entwicklung vor Augen haben, wenn es sich
um diejenigen Schöpfungen seines Geistes handelt, die unab-
hängig von ihm ihre eigene Laufbahn begonnen haben. Iphi-
genie ist als Weltcharakter dem Zusammenhänge mit Goethe
entwachsen. Sie steht den Nationen gegenüber. In so viel