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Grimm, Herman; Grimm, Herman [Hrsg.]
Fragmente (Band 1,2) — Berlin, Stuttgart: Spemann, 1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.47242#0204
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nun läßt Böcklin auf unserem Gemälde Christus noch einmal
in lebendiger Gestalt erscheinen. Aus den auseinander^
rollenden dunklen Wolken des Himmels dicht über Maria
bricht freundliche leuchtende Heiterkeit hervor. Engel be-
wohnen diese Räume und Christus selber ist längst in sie
ausgenommen. Während Maria unten sein vergängliches
Bild umarmt, streckt er, sich herabbeugend, den Arm nach
ihr aus, tief herab: ein Augenblick, und er hat seine Mutter
berührt und sie wird sich zu ihm umwenden. Und nun
wieder: wie ist Christus hier gebildet! Nur in zwei Formen
lassen die Gemälde des Cinquecento ihn im Himmel wohnen:
als kleines Kind auf den Armen der Mutter oder als
thronenden König neben Gottvater: beide Gestalten in einem
Uebermaße von Auffassungen uns kunsthistorisch bekannt.
Böcklin dagegen hat die Altersstufe gewählt, auf der Christus
stand, als er sich in Jerusalem als Knabe verloren hatte und
endlich von der Mutter im Tempel unter den Gelehrten ge-
funden ward. Böcklin läßt Christus neben den Kinderengeln,
die mit ihm find, als älteren, aber immer noch kindlichen
Knaben erscheinen. Wie er sich herabbeugt, mit einer ge-
wissen Vorsicht, als dürfe er aus dem Gewölks nicht herab-
fallen, den einen Arm so weit herab als nur immer möglich,
so tief, daß er die Mutter beinahe antippen könnte: liegt
etwas in seiner Bewegung von dem übermüthigen Kinde, das
wie im Scherz zu rufen scheint: hier! hier! In uns, von
dem Bilde stehend, geht eine Ahnung von dem unbeschreib-
lichen Uebermaße des Glücks und des Staunens über, mit
dem Maria einen Augenblick später ihr Kind wiederfinden
wird. Von den kleinen Engeln nimmt der eine in voll auf-
athmendem Vergnügen an dem Vorgänge Theil, der andre
 
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