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siedler im Walde leben. Seine Aufgabe ist nicht, die Natur,
wie sie sich darbietet, nachzuahmen, sondern das Gefühl in
uns zu erwecken, das die Natur in uns hervorruft, wie
Homer Landschaften in unserer Seele sich ausbreiten läßt,
wie er die Natur selbst, nicht bloß Beschreibungen der Natur
gibt. So dichtete auch Walther von der Vogelweide. Und
so Dante, der, wie jene Beiden, sein Vaterland im Gesänge
verewigte. Man vergleiche Petrarcha's sanfte Verse, die
voll von Beschreibungen der Natur sind: lauter akademische
Schönheiten. In neuester Zeit erst wieder ist auf dem Ge-
biete der malenden und zeichnenden Kunst der Drang völlig
durchgebrochen, der Natur dicht ans Herz zu dringen. Die
die Erde überspielende Luft gleichsam uns fühlen zu lassen,
ist ein neuer Trieb erwacht. Das Meer, der Wind, die
Wälder, die Wolken haben für den Blick der heutigen Ge-
neration in höherem Grade, als für den der früheren etwas
geistig Jnhaltvolles. Für dieses Unbestimmte werden die
Worte einer Sprache gesucht.
v. Gleichen-Rußwurm (Weimar) sandte mir neulich
zwei auf den Stein radirte Blätter. Auf dem einen war
zu sehen, wie über ein kahles, Halbdunkeles Gefilde ohne
Baum und Gewässer ungeheure Wolken dahinziehen. Nur
aus lichten, durchsichtige Schatten tragenden Luftgebirgen
gebildet, scheinen sie im Strome des Windes immer andere
Gestalt anzunehmen, bald zu zerfließen, bald sich zu ballen,
und, von immer anderen Umrissen umgrenzt, sich zu strecken
oder aufzuthürmen. Erreicht kann vom Künstler nur werden,
daß unsere Phantasie im Anblicke des Blattes sich erinnert,
dergleichen gesehen zu haben. Und auf einer anderen Zeich-
siedler im Walde leben. Seine Aufgabe ist nicht, die Natur,
wie sie sich darbietet, nachzuahmen, sondern das Gefühl in
uns zu erwecken, das die Natur in uns hervorruft, wie
Homer Landschaften in unserer Seele sich ausbreiten läßt,
wie er die Natur selbst, nicht bloß Beschreibungen der Natur
gibt. So dichtete auch Walther von der Vogelweide. Und
so Dante, der, wie jene Beiden, sein Vaterland im Gesänge
verewigte. Man vergleiche Petrarcha's sanfte Verse, die
voll von Beschreibungen der Natur sind: lauter akademische
Schönheiten. In neuester Zeit erst wieder ist auf dem Ge-
biete der malenden und zeichnenden Kunst der Drang völlig
durchgebrochen, der Natur dicht ans Herz zu dringen. Die
die Erde überspielende Luft gleichsam uns fühlen zu lassen,
ist ein neuer Trieb erwacht. Das Meer, der Wind, die
Wälder, die Wolken haben für den Blick der heutigen Ge-
neration in höherem Grade, als für den der früheren etwas
geistig Jnhaltvolles. Für dieses Unbestimmte werden die
Worte einer Sprache gesucht.
v. Gleichen-Rußwurm (Weimar) sandte mir neulich
zwei auf den Stein radirte Blätter. Auf dem einen war
zu sehen, wie über ein kahles, Halbdunkeles Gefilde ohne
Baum und Gewässer ungeheure Wolken dahinziehen. Nur
aus lichten, durchsichtige Schatten tragenden Luftgebirgen
gebildet, scheinen sie im Strome des Windes immer andere
Gestalt anzunehmen, bald zu zerfließen, bald sich zu ballen,
und, von immer anderen Umrissen umgrenzt, sich zu strecken
oder aufzuthürmen. Erreicht kann vom Künstler nur werden,
daß unsere Phantasie im Anblicke des Blattes sich erinnert,
dergleichen gesehen zu haben. Und auf einer anderen Zeich-