MICHELANGELOS LETZTE WERKE
1542—1547
[15,
Gleich nach Vollendung des Jüngsten Gerichts hatte Michelangelo das Werk sich von der
Seele schaffen wollen, dessen langsam fortschleichende Arbeit Condivi nicht mit Unrecht
die Tragödie des Grabdenkmals nennt. Kaum aber zeigte er diesen Willen, als der Papst ihn
auch jetzt nicht freigab. Paul III. hatte dem Vatikan eine neue Kapelle zugefügt, nach seinem
Namen die Capella Paolina genannt, und Michelangelo war dazu ausersehen, sie mit Fresken
zu schmücken.
Gemälde in der Darüber kam es jetzt zwischen ihm und dem Herzoge von Urbino zu Unterhandlungen
CapellaPaohna peinlichster Art. Der Herzog hatte ein Recht, die Ausführung längst bezahlter Arbeit zu
verlangen. Er haßte die Farneses und wollte gerade ihretwegen nicht vernachlässigt sein. Um
mit jedem Mittel zu wirken, brachte man von seiner Seite die Sache ins Publikum. Michel-
angelo wurde in Italien ein Betrüger genannt, der von Anfang an die Absicht gehegt, das
Geld zu nehmen und nichts dafür zu arbeiten, und ein Druck ward auf ihn ausgeübt, bis er dem
Papste sagen ließ, es sei ihm unmöglich, die Gemälde in der Kapelle auszuführen. Man male
nicht mit den Händen allein, sondern auch mit dem Kopfe. Wer den Geist nicht frei habe,
ruiniere sich. Man überhäufe ihn mit Beschuldigungen, als habe er Christus steinigen helfen.
Schon vom Papste Clemens sei er bei der Abfassung des letzten Kontraktes durch Winkel-
züge zu Dingen vermocht, die er gar nicht gewollt, und zur Anerkennung von Zugeständ-
nissen, die er gar nicht gemacht. Zwänge man ihn jetzt zu malen, so könne nichts als schlechtes
Zeug daraus werden.
Erklärte sich Michelangelo jedoch durch den unter Clemens aufgesetzten Kontrakt für be-
nachteiligt, so war er selber nicht ganz ohne Schuld dabei. Clemens hatte nicht zugeben wollen,
daß neben den Arbeiten in San Lorenzo die für das Grabmal Julius' betrieben würden: um dem
Papste die Einwilligung dennoch abzunötigen, war Michelangelo darauf eingegangen, den
Empfang größerer Geldbeträge von selten der Roveres zuzugestehen, als er in Wahrheit
erhalten hatte (nur damit er ihnen in höherem Grade verpflichtet erschiene), und die Aufnahme
dieser Summen in den neuen Kontrakt zu gestatten. Von den Roveres wurde das jetzt benutzt.
Sie beriefen sich auf Michelangelos Unterschrift und wollten die fingierten Summen für wirk-
liche angenommen wissen.
Das zweite, worüber er sich zu beklagen hatte, war der Umstand, daß die ihm zur Unter-
zeichnung vorgelegte Abschrift des Kontraktes mit dem Schriftstücke nicht gestimmt habe,
das bei den Verhandlungen in seiner Gegenwart aufgesetzt worden sei. Sein am Macello dei
Corvi gelegenes Haus sei als Garantie für die zur Vollendung des Grabmales von ihm auszu-
gebenden Gelder darin angeführt. Niemals wäre ihm aber dergleichen eingefallen.
Dies kam jetzt zur Sprache. Das Ende der Verhandlungen war, daß Michelangelo gerecht-
fertigt dastand und Urbino sich als zufriedengestellt erklärte, wenn am Denkmal nichts von
Michelangelos eigener Hand ausgeführt werde als der Moses. Das Haus am Macello dei Corvi
wurde von aller Belastung losgesprochen.
Die Kreuzi- So konnte Michelangelo denn die Gemälde in der Paolina beruhigter in Angriff nehmen,
Bild's™" ""' er beendete sie innerhalb von acht bis neun Jahren: zwei große, figurenreiche Kompo-
sitionen, die Kreuzigung Petri und die Bekehrung Pauli darstellend; heute, nachdem sie lange
Die Bekehrung zeit durch den abgelagerten Staub der Jahrhunderte verdunkelt gewesen, hat man sie gereinigt
s. 336 und restauriert, so handwerksmäßig aber dabei behandelt, daß vielleicht kein echter Pinsel-
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1542—1547
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Gleich nach Vollendung des Jüngsten Gerichts hatte Michelangelo das Werk sich von der
Seele schaffen wollen, dessen langsam fortschleichende Arbeit Condivi nicht mit Unrecht
die Tragödie des Grabdenkmals nennt. Kaum aber zeigte er diesen Willen, als der Papst ihn
auch jetzt nicht freigab. Paul III. hatte dem Vatikan eine neue Kapelle zugefügt, nach seinem
Namen die Capella Paolina genannt, und Michelangelo war dazu ausersehen, sie mit Fresken
zu schmücken.
Gemälde in der Darüber kam es jetzt zwischen ihm und dem Herzoge von Urbino zu Unterhandlungen
CapellaPaohna peinlichster Art. Der Herzog hatte ein Recht, die Ausführung längst bezahlter Arbeit zu
verlangen. Er haßte die Farneses und wollte gerade ihretwegen nicht vernachlässigt sein. Um
mit jedem Mittel zu wirken, brachte man von seiner Seite die Sache ins Publikum. Michel-
angelo wurde in Italien ein Betrüger genannt, der von Anfang an die Absicht gehegt, das
Geld zu nehmen und nichts dafür zu arbeiten, und ein Druck ward auf ihn ausgeübt, bis er dem
Papste sagen ließ, es sei ihm unmöglich, die Gemälde in der Kapelle auszuführen. Man male
nicht mit den Händen allein, sondern auch mit dem Kopfe. Wer den Geist nicht frei habe,
ruiniere sich. Man überhäufe ihn mit Beschuldigungen, als habe er Christus steinigen helfen.
Schon vom Papste Clemens sei er bei der Abfassung des letzten Kontraktes durch Winkel-
züge zu Dingen vermocht, die er gar nicht gewollt, und zur Anerkennung von Zugeständ-
nissen, die er gar nicht gemacht. Zwänge man ihn jetzt zu malen, so könne nichts als schlechtes
Zeug daraus werden.
Erklärte sich Michelangelo jedoch durch den unter Clemens aufgesetzten Kontrakt für be-
nachteiligt, so war er selber nicht ganz ohne Schuld dabei. Clemens hatte nicht zugeben wollen,
daß neben den Arbeiten in San Lorenzo die für das Grabmal Julius' betrieben würden: um dem
Papste die Einwilligung dennoch abzunötigen, war Michelangelo darauf eingegangen, den
Empfang größerer Geldbeträge von selten der Roveres zuzugestehen, als er in Wahrheit
erhalten hatte (nur damit er ihnen in höherem Grade verpflichtet erschiene), und die Aufnahme
dieser Summen in den neuen Kontrakt zu gestatten. Von den Roveres wurde das jetzt benutzt.
Sie beriefen sich auf Michelangelos Unterschrift und wollten die fingierten Summen für wirk-
liche angenommen wissen.
Das zweite, worüber er sich zu beklagen hatte, war der Umstand, daß die ihm zur Unter-
zeichnung vorgelegte Abschrift des Kontraktes mit dem Schriftstücke nicht gestimmt habe,
das bei den Verhandlungen in seiner Gegenwart aufgesetzt worden sei. Sein am Macello dei
Corvi gelegenes Haus sei als Garantie für die zur Vollendung des Grabmales von ihm auszu-
gebenden Gelder darin angeführt. Niemals wäre ihm aber dergleichen eingefallen.
Dies kam jetzt zur Sprache. Das Ende der Verhandlungen war, daß Michelangelo gerecht-
fertigt dastand und Urbino sich als zufriedengestellt erklärte, wenn am Denkmal nichts von
Michelangelos eigener Hand ausgeführt werde als der Moses. Das Haus am Macello dei Corvi
wurde von aller Belastung losgesprochen.
Die Kreuzi- So konnte Michelangelo denn die Gemälde in der Paolina beruhigter in Angriff nehmen,
Bild's™" ""' er beendete sie innerhalb von acht bis neun Jahren: zwei große, figurenreiche Kompo-
sitionen, die Kreuzigung Petri und die Bekehrung Pauli darstellend; heute, nachdem sie lange
Die Bekehrung zeit durch den abgelagerten Staub der Jahrhunderte verdunkelt gewesen, hat man sie gereinigt
s. 336 und restauriert, so handwerksmäßig aber dabei behandelt, daß vielleicht kein echter Pinsel-
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