Gedichte Michelangelos an Vittoria
Den Päpsten aus dem Hause der Medici waren die Colonnas zu stark gewesen; die Farneses
aber beschlossen ihren Untergang. Und so geschah es. Um die Zeit traf ihre Familie der Schlag,
als Vittoria nach Viterbo ging. All ihren Einfluß hatte sie aufgewandt, das zu verhindern,
aber fruchtlos. Die Schlösser waren den Colonnas genommen, in Rom fand Vittoria keinen
von den Ihrigen, als sie wiederkam. Sie zog sich in das Benediktinerinnenkloster von Santa
Anna dei Funari (heute dei Falegnami) zurück und verbrachte kränkelnd dort die wenigen
Jahre, die ihr noch übrigblieben.
Michelangelo besuchte sie oft.
Anfang 1547 löschten Vittorias letzte Kräfte aus. Michelangelo sah Vittoria bis zuletzt. Der Tod Vit-
So erschüttert war er durch ihren Tod, daß er, wie Condivi erzählt, fast von Sinnen kam darüber. '°"a C°l°™ias
Zu Condivi auch sagte er einmal in späteren Jahren, nichts reue ihn so sehr, als ihr nur die
Hand und nicht auch Stirn und Wangen geküßt zu haben, als er in ihrer letzten Stunde zu ihr ging.
Wie groß der Verlust war, den er erlitt, kann nur der fühlen, der selbst die Lücke empfunden
hat, die das Verschwinden einer überragenden geistigen Kraft unausfüllbar zurückläßt. Morte
mi tolse uno grande amico, Einen großen Freund hat der Tod mir fortgenommen, schrieb Michel-
angelo an den alten Priester Fatucci nach Florenz, dem er eines seiner Gedichte an Vittoria
sandte. Es muß ihm gewesen sein, als würde ein altgewohntes herrliches Buch, in dem er
für jede Stimmung das passende Wort fand, mit einem Schlage geschlossen, um sich nie wieder
aufzutun. Vittoria war die einzige gewesen, die ihm jemals die Seele ganz aufgeschlossen.
Was konnte ihm die Verehrung der anderen bieten, die aufgehört hätten ihn zu verstehen,
wenn er sich hätte zeigen wollen, wie er in Wahrheit war? Nur der Gedanke tröstete ihn noch,
daß seine eigene Laufbahn ihrem Ende nahe sei. In dem Maße als er das Stück Leben, das er
noch vor sich zu haben glaubte, geringer werden sah, mußten die Gedanken darüber hinaus-
schweifend sich in das versenken, was nach dem Tod ihn erwartete. Er war siebzig Jahre alt.
An seiner festen Natur fing es an zu rütteln. Viele von den Gedichten mag er jetzt geschrieben
haben, in denen er, die verflossenen Jahre seines Lebens überschlagend, nicht einen einzigen
Tag entdeckt, an dem er glücklich war, und all die Gedanken für verloren erachtet, die er
nicht der Betrachtung des Göttlichen zugewendet.
Vittoria starb in den letzten Tagen des Februar im siebenundfünfzigsten Jahre ihres Alters. Michelangelos
Eines von den Sonetten sei hier noch im Versuch einer Übersetzung gegeben, durch die Michel- v^rias Tod
angelo seinem Schmerze Worte gab:
Als sie, zu der sich meine Wünsche sehnen,
Hinwegging, weil der Himmel so gewaltet,
Stand die Natur, die Schön'res nie gestaltet,
Beschämt, und wer sie sah, der weinte Tränen.
Wo weilst du nun? Ach! wie vernichtet sanken
Die hoffnungsvollen Träume plötzlich nieder,
Jetzt hat die Erde deine reinen Glieder,
Der Himmel deine heiligen Gedanken.
Tod war dein Los; denn sterblich nur vermag
Das Göttliche zu uns herabzusteigen;
Doch nur, was sterblich, hat der Tod vernichtet!
Du lebst, es glänzt dein Ruhm im lichten Tag,
Und ewig unverhüllt wird er dich zeigen
In dem, was du gewirkt hast und gedichtet.
2G7
Den Päpsten aus dem Hause der Medici waren die Colonnas zu stark gewesen; die Farneses
aber beschlossen ihren Untergang. Und so geschah es. Um die Zeit traf ihre Familie der Schlag,
als Vittoria nach Viterbo ging. All ihren Einfluß hatte sie aufgewandt, das zu verhindern,
aber fruchtlos. Die Schlösser waren den Colonnas genommen, in Rom fand Vittoria keinen
von den Ihrigen, als sie wiederkam. Sie zog sich in das Benediktinerinnenkloster von Santa
Anna dei Funari (heute dei Falegnami) zurück und verbrachte kränkelnd dort die wenigen
Jahre, die ihr noch übrigblieben.
Michelangelo besuchte sie oft.
Anfang 1547 löschten Vittorias letzte Kräfte aus. Michelangelo sah Vittoria bis zuletzt. Der Tod Vit-
So erschüttert war er durch ihren Tod, daß er, wie Condivi erzählt, fast von Sinnen kam darüber. '°"a C°l°™ias
Zu Condivi auch sagte er einmal in späteren Jahren, nichts reue ihn so sehr, als ihr nur die
Hand und nicht auch Stirn und Wangen geküßt zu haben, als er in ihrer letzten Stunde zu ihr ging.
Wie groß der Verlust war, den er erlitt, kann nur der fühlen, der selbst die Lücke empfunden
hat, die das Verschwinden einer überragenden geistigen Kraft unausfüllbar zurückläßt. Morte
mi tolse uno grande amico, Einen großen Freund hat der Tod mir fortgenommen, schrieb Michel-
angelo an den alten Priester Fatucci nach Florenz, dem er eines seiner Gedichte an Vittoria
sandte. Es muß ihm gewesen sein, als würde ein altgewohntes herrliches Buch, in dem er
für jede Stimmung das passende Wort fand, mit einem Schlage geschlossen, um sich nie wieder
aufzutun. Vittoria war die einzige gewesen, die ihm jemals die Seele ganz aufgeschlossen.
Was konnte ihm die Verehrung der anderen bieten, die aufgehört hätten ihn zu verstehen,
wenn er sich hätte zeigen wollen, wie er in Wahrheit war? Nur der Gedanke tröstete ihn noch,
daß seine eigene Laufbahn ihrem Ende nahe sei. In dem Maße als er das Stück Leben, das er
noch vor sich zu haben glaubte, geringer werden sah, mußten die Gedanken darüber hinaus-
schweifend sich in das versenken, was nach dem Tod ihn erwartete. Er war siebzig Jahre alt.
An seiner festen Natur fing es an zu rütteln. Viele von den Gedichten mag er jetzt geschrieben
haben, in denen er, die verflossenen Jahre seines Lebens überschlagend, nicht einen einzigen
Tag entdeckt, an dem er glücklich war, und all die Gedanken für verloren erachtet, die er
nicht der Betrachtung des Göttlichen zugewendet.
Vittoria starb in den letzten Tagen des Februar im siebenundfünfzigsten Jahre ihres Alters. Michelangelos
Eines von den Sonetten sei hier noch im Versuch einer Übersetzung gegeben, durch die Michel- v^rias Tod
angelo seinem Schmerze Worte gab:
Als sie, zu der sich meine Wünsche sehnen,
Hinwegging, weil der Himmel so gewaltet,
Stand die Natur, die Schön'res nie gestaltet,
Beschämt, und wer sie sah, der weinte Tränen.
Wo weilst du nun? Ach! wie vernichtet sanken
Die hoffnungsvollen Träume plötzlich nieder,
Jetzt hat die Erde deine reinen Glieder,
Der Himmel deine heiligen Gedanken.
Tod war dein Los; denn sterblich nur vermag
Das Göttliche zu uns herabzusteigen;
Doch nur, was sterblich, hat der Tod vernichtet!
Du lebst, es glänzt dein Ruhm im lichten Tag,
Und ewig unverhüllt wird er dich zeigen
In dem, was du gewirkt hast und gedichtet.
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