DIE DECKENMALEREI DER SIXTINISCHEN KAPELLE
Erster Teil 1508 —1509
[7, 1-4]
Michelangelo fand, als er nach Florenz zurückkam, eine Reihe von Arbeiten vor, deren
Fortführung notwendig war. Der Karton mußte gemalt, der Bronzedavid beendigt werden;
die zwölf Apostel für den Dom waren kaum begonnen. Bei diesen hatten die Besteller einst-
weilen die Hoffnung aufgegeben und das dafür gebaute Haus vermietet. Michelangelo nahm
es jetzt selber auf ein Jahr für zehn Goldgulden; doch wohl zu keinem anderen Zwecke, als
um die Arbeit darin vorwärtszubringen. Endlich, Soderini hatte einen großen Plan: es sollte
eine kolossale Statue auf den Platz vor dem Regierungspalaste kommen und Michelangelo
sie ausführen. Über den Block verhandelte man bereits mit dem Besitzer von Carrara, dem
Marchese Malaspina.
Alles dies mußte jedoch zurückstehen gegen das Grabdenkmal Julius'. Michelangelo blieb
nur den März 1508 in seiner Vaterstadt und ging dann wieder nach Rom. Er dachte nicht
anders, als seine Kräfte ganz dem großen Werke zu widmen, das er vor zwei Jahren verlassen
hatte, allein davon war keine Rede jetzt im Vatikan. Dem Papste war nicht wieder auszureden,
die Aufstellung eines Grabdenkmales bei seinen Lebzeiten sei ein böses Omen. Michelangelo
sollte die Wölbung der Sixtinischen Kapelle malen. Es war der alte Wunsch Julius', auf den er
wieder zurückkam.
Der Auftrag war Michelangelo durchaus nicht zu Sinne. Er erwiderte, daß er in Farbe nie Die Sixtinische
etwas getan habe und um andere Arbeit bitten müsse. Sein Widerspruch jedoch machte den K^elle
Papst nur um so hartnäckiger, und Giuliano di San Gallos vermittelnder Einfluß brachte es
diesmal dahin, daß Michelangelo auf die Sache einging.
Die Sixtinische Kapelle, heute durch verschiedene Bauten späteren Datums so mit dem
vatikanischen Palaste verbunden, daß ihre äußere Architektur in dem großen Ganzen völlig
drinsteckt, ist ein viereckiger Raum, über das Doppelte so lang als breit und von bedeutender
Erhebung, so daß er hoch und schmal erscheint. Die Wände sind glatt, die Fenster, je sechs
an der Zahl, verhältnismäßig schmal und niedrig und dicht unter der gewölbten Decke an den
beiden längeren Seiten angebracht. Nahe unter ihnen bildet ein schmaler, krönungsartig vor-
springender Mauerabsatz, der heute mit einer niedrigen metallenen Balustrade geschützt ist,
eine Galerie, auf der sich entlang zu drängen viele schwindlig machen würde. Die Fenster
sind oben gerundet. Über ihnen setzt das glatte Gewölbe der Decke an die Seitenwände an, und
zwar so, daß die Zwickel immer zwischen den Fenstern spitz in die Wand herab verlaufen.
Zuerst ging die Absicht des Papstes nur dahin, den mittleren Teil der Deckenwölbung mit
Gemälden von geringer Figurenzahl ausfüllen zu lassen. Es kam ein Kontrakt zustande, nach
welchem der Preis für alles in allem auf 3000 Skudi festgestellt wurde. Heute, am 30. Mai
1508, lautet eine auf uns gekommene Notiz, habe ich, Michelangelo, der Bildhauer, von Seiner
Heiligkeit Papst Julius dem Zweiten fünfhundert Dukaten erhalten, welche mir Messer Carlino,
der Kämmerer, und Messer Carlo Albizzi auf Rechnung der Malerei ausgezahlt haben, mit der ich
heutigen Tages in der Kapelle des Papstes Sixtus beginne, und zwar unter den kontraktlichen
Bedingungen, welche Monsignor von Pavia aufgesetzt und ich mit eigner Hand unterschrieben habe.
Michelangelo begann darauf seine Entwürfe zu machen. Bald überzeugte er sich, daß die Beginn der
Malerei, in dieser Weise ausgeführt, zu einfach und erbärmlich erscheinen müsse, und der Papst
stimmte ihm bei. Es wurde nun beschlossen, den ganzen Raum bis zu den Fenstern mit Gemälden
zu bedecken, und Michelangelo freigestellt, die Kompositionen nach eigenem Gutdünken
6 Grimm, Michelangelo
81
Erster Teil 1508 —1509
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Michelangelo fand, als er nach Florenz zurückkam, eine Reihe von Arbeiten vor, deren
Fortführung notwendig war. Der Karton mußte gemalt, der Bronzedavid beendigt werden;
die zwölf Apostel für den Dom waren kaum begonnen. Bei diesen hatten die Besteller einst-
weilen die Hoffnung aufgegeben und das dafür gebaute Haus vermietet. Michelangelo nahm
es jetzt selber auf ein Jahr für zehn Goldgulden; doch wohl zu keinem anderen Zwecke, als
um die Arbeit darin vorwärtszubringen. Endlich, Soderini hatte einen großen Plan: es sollte
eine kolossale Statue auf den Platz vor dem Regierungspalaste kommen und Michelangelo
sie ausführen. Über den Block verhandelte man bereits mit dem Besitzer von Carrara, dem
Marchese Malaspina.
Alles dies mußte jedoch zurückstehen gegen das Grabdenkmal Julius'. Michelangelo blieb
nur den März 1508 in seiner Vaterstadt und ging dann wieder nach Rom. Er dachte nicht
anders, als seine Kräfte ganz dem großen Werke zu widmen, das er vor zwei Jahren verlassen
hatte, allein davon war keine Rede jetzt im Vatikan. Dem Papste war nicht wieder auszureden,
die Aufstellung eines Grabdenkmales bei seinen Lebzeiten sei ein böses Omen. Michelangelo
sollte die Wölbung der Sixtinischen Kapelle malen. Es war der alte Wunsch Julius', auf den er
wieder zurückkam.
Der Auftrag war Michelangelo durchaus nicht zu Sinne. Er erwiderte, daß er in Farbe nie Die Sixtinische
etwas getan habe und um andere Arbeit bitten müsse. Sein Widerspruch jedoch machte den K^elle
Papst nur um so hartnäckiger, und Giuliano di San Gallos vermittelnder Einfluß brachte es
diesmal dahin, daß Michelangelo auf die Sache einging.
Die Sixtinische Kapelle, heute durch verschiedene Bauten späteren Datums so mit dem
vatikanischen Palaste verbunden, daß ihre äußere Architektur in dem großen Ganzen völlig
drinsteckt, ist ein viereckiger Raum, über das Doppelte so lang als breit und von bedeutender
Erhebung, so daß er hoch und schmal erscheint. Die Wände sind glatt, die Fenster, je sechs
an der Zahl, verhältnismäßig schmal und niedrig und dicht unter der gewölbten Decke an den
beiden längeren Seiten angebracht. Nahe unter ihnen bildet ein schmaler, krönungsartig vor-
springender Mauerabsatz, der heute mit einer niedrigen metallenen Balustrade geschützt ist,
eine Galerie, auf der sich entlang zu drängen viele schwindlig machen würde. Die Fenster
sind oben gerundet. Über ihnen setzt das glatte Gewölbe der Decke an die Seitenwände an, und
zwar so, daß die Zwickel immer zwischen den Fenstern spitz in die Wand herab verlaufen.
Zuerst ging die Absicht des Papstes nur dahin, den mittleren Teil der Deckenwölbung mit
Gemälden von geringer Figurenzahl ausfüllen zu lassen. Es kam ein Kontrakt zustande, nach
welchem der Preis für alles in allem auf 3000 Skudi festgestellt wurde. Heute, am 30. Mai
1508, lautet eine auf uns gekommene Notiz, habe ich, Michelangelo, der Bildhauer, von Seiner
Heiligkeit Papst Julius dem Zweiten fünfhundert Dukaten erhalten, welche mir Messer Carlino,
der Kämmerer, und Messer Carlo Albizzi auf Rechnung der Malerei ausgezahlt haben, mit der ich
heutigen Tages in der Kapelle des Papstes Sixtus beginne, und zwar unter den kontraktlichen
Bedingungen, welche Monsignor von Pavia aufgesetzt und ich mit eigner Hand unterschrieben habe.
Michelangelo begann darauf seine Entwürfe zu machen. Bald überzeugte er sich, daß die Beginn der
Malerei, in dieser Weise ausgeführt, zu einfach und erbärmlich erscheinen müsse, und der Papst
stimmte ihm bei. Es wurde nun beschlossen, den ganzen Raum bis zu den Fenstern mit Gemälden
zu bedecken, und Michelangelo freigestellt, die Kompositionen nach eigenem Gutdünken
6 Grimm, Michelangelo
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