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Grimm, Herman
Michelangelo: sein Leben in Geschichte und Kultur seiner Zeit, der Blütezeit der Kunst in Florenz und Rom — Berlin: Safari-Verlag, 1941

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https://doi.org/10.11588/diglit.71912#0012
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KINDHEIT UND ERZIEHUNG
1475—1493
[2,3—5]
Die Familie Im Jahre 1250 soll Simone Canossa, der Stammvater der Buonarroti, als Fremder nach Florenz
Buonarroti gekommen sein und sich durch ausgezeichnete, der Stadt geleistete Dienste das Bürgerrecht
erworben haben. Aus einem Ghibellinen sei er ein Guelfe geworden und habe deshalb
sein Wappen, einen weißen Hund mit einem Knochen im Maule in rotem Felde, in einen
goldenen Hund in himmelblauem Felde verändert. Dazu seien ihm von der Signorie noch
fünf rote Lilien und ein Helm mit zwei Stierhörnern, eins golden, eins himmelblau, ver-
liehen worden.
In den Adern der Simoni aber, die von den Grafen Canossa abstammten, fließe kaiserliches Blut.
Beatrice, die Schwester Kaiser Heinrich II., sei die Stammutter der Familie, das eben be-
schriebene Wappen im Palaste des Podesta von Florenz noch zu sehen, wo Simone Canossa
es gleich dem anderer Podestäs habe in Marmor aushauen lassen. Der Familienname Buonarroti
stamme daher, daß er als Vorname in der Familie herkömmlich gewesen sei; einer müsse ihn
immer als einzigen Taufnamen führen. So sei er ein Kennzeichen des Geschlechtes geworden
und habe sich endlich statt des Namens Canossa in die Bürgerrolle eingeschlichen. Die Buon-
arroti hielten fest an dieser Tradition.
Die Buonarroti, oder wie sie sich schrieben, die Buonarroti Simoni, waren eines der an-
gesehensten florentinischen Geschlechter. Ilir Name findet sich oft mit Staatsämtern verbunden.
1456 saß Michelangelos Großvater in der Signorie, 1473 sein Vater im Kollegium der Buon-
uomini, einer aus zwölf Bürgern bestehenden Kommission, welche der Signorie beratend
beigesellt war. 1474 wurde er zum Podesta von Chiusi und Caprese ernannt, zweier Städtchen
mit Kastellen im Tale der Singarna gelegen, eines kleinen Gewässers, das sich in den Tiber ergießt.
Michelangelos Michelangelos Vater, Lodovico mit Namen, begab sich von Florenz auf seinen Posten. Seine
Geburt prau, Francesca, gleichfalls aus guter Familie, war gerade hochschwanger, was sie nicht hin-
derte, ihren Mann zu Pferde zu begleiten. Dieser Ritt hätte ihr und dem Kinde gefährlich
werden können, sie stürzte mit dem Tiere und wurde ein Stück fortgeschleift. Dennoch schadete
es ihr nicht, am 6. März 1475, um 2 Uhr nach Mitternacht, brachte sie zu Caprese einen Knaben
zur Welt, der den Namen Michelangelo erhielt. Er war das zweite Kind seiner Mutter, welche
bei seiner Geburt neunzehn Jahre zählte, während Lodovico im einunddreißigsten stand. Lodo-
vicos Vater lebte nicht mehr, wohl aber seine Mutter, Mona Lesandra (soviel als Madonna
Allessandra), eine Frau von sechsundsechzig Jahren.
1476, nach Ablauf seiner Amtsführung, kehrte Lodovico nach Hause zurück. Der kleine
Michelangelo wurde drei Miglien von Florenz in Settignano zurückgelassen, wo die Buonarroti
eine Besitzung hatten. Man tat das Kind zu einer Amme, der Frau eines Steinmetzen. Michel-
angelo pflegte später scherzend zu sagen, es sei kein Wunder, daß er solche Liebe zu seinem
Handwerk hege, er habe es mit der Milch eingesogen. In dem Orte zeigte man im vorigen
Jahrhundert noch die ersten Malereien des Knaben an den Wänden des Hauses, in
dem er aufwuchs, wie im Erdgeschoß des elterlichen Hauses zu Florenz die Fortsetzung
dieser Bestrebungen zu erblicken war. Er fing an zu zeichnen, sobald er seine Hände
gebrauchen konnte.
Die Familie vermehrte sich. Die Geschwister Michelangelos sollten Kaufleute werden, die
gewöhnliche und natürliche Laufbahn in Florenz, er selbst aber wurde zum Gelehrten bestimmt
und von Meister Francesco aus Urbino, der die florentinische Jugend in der Grammatik unter-

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