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Grimm, Herman
Michelangelo: sein Leben in Geschichte und Kultur seiner Zeit, der Blütezeit der Kunst in Florenz und Rom — Berlin: Safari-Verlag, 1941

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https://doi.org/10.11588/diglit.71912#0011
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Einleitung

der Blüte der florentinischen Kunst beschäftigt, Michelangelos Namen an der Stirn trägt. Ein
Leben Raffaels oder Leonardos würde doch nur ein Bruchstück von dem des Michelangelo
bedeuten. Seine Kraft überbietet die ihre. Er allein beteiligt sich an der allgemeinen Arbeit des
Volkes. Samt seinen Werken ragt er empor, wie eine Erscheinung, die sich von allen Seiten
der Betrachtung bietet, wie eine Statue, während jene beiden mehr wie prächtige Bildnisse
erscheinen, die stets dasselbe lebendige Antlitz, aber auch stets von derselben Seite zeigen.
Das Gefühl, daß Michelangelo so hoch stehe, bildete sich früh bei seinen Lebzeiten in Italien
nicht allein, sondern verbreitete sich über Europa. Es kommen deutsche Edelleute nach Rom:
das erste, was sie verlangen, ist Michelangelo zu sehen. Auch daß er so alt wurde und in zwei
Jahrhunderten lebte, ist ein Teil seiner Größe. Wie Goethe genoß er im Alter die Unsterblich-
keit seiner Jugend. Er wurde zu einem Elemente in Italien. Wie ein alter Felsen, um den man
einen Umweg macht im Meere, ohne sich mit Gedanken aufzuhalten, was er daliege und die
gerade Straße versperre, respektierte man in Rom seine politische Festigkeit. Man gestattete
ihm, seiner eigenen Überzeugung nach zu leben, und begehrte nichts als den Ruhm seiner
Gegenwart. Er hinterließ ein weites Reich, das seinen Namen trug, jedes seiner Werke war
ein Samenkorn, aus dem zahllose andere erwuchsen. In der Tat, zahllos sind die Arbeiten,
die im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert nach dem Muster der seinigen ausgeführt
wurden. Wie sich in Dantes Persönlichkeit das dreizehnte Jahrhundert und der Beginn des
vierzehnten spiegelt, so umfaßt der Name Michelangelos jene folgenden, und weil zu derselben
Zeit in Deutschland Luther, in ganz anderer Weise freilich und auf anderem Gebiete, einen
ähnlichen allumfassenden Einfluß gewann, so bildet das Leben Michelangelos zu dem Luthers
einen Gegensatz, der den Unterschied der Nationen darlegt, in deren Mitte die beiden Kräfte
tätig waren.
Nach dieser Richtung hin ist Michelangelo kaum bekannt. Mehr instinktmäßig fühlte man
nur, daß sein Name das Symbol einer umfassenden Tätigkeit sei. Der Zusammenhang seiner
Schicksale mit denen seines Landes und dem Inhalte seiner Werke ist noch nicht in das all-
gemeine Bewußtsein übergegangen. In dieser Hinsicht glaubte ich, sei mit einer Beschreibung
seines Lebens eine nützliche Arbeit zu versuchen.

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