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Grimm, Herman
Michelangelo: sein Leben in Geschichte und Kultur seiner Zeit, der Blütezeit der Kunst in Florenz und Rom — Berlin: Safari-Verlag, 1941

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https://doi.org/10.11588/diglit.71912#0055
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MICHELANGELO, LEONARDO UND RAFFAEL IN FLORENZ
1501—1504
(5, 1—4]
Der Tod des Königs von Frankreich war für Florenz von glücklichen Folgen gewesen. Cesare Borgia
Seinem Nachfolger, dem Herzog von Orleans, der als Ludwig XII. den Thron bestieg, ""ddie Medici
standen die geistigen Fähigkeiten zu Gebote, deren Karl VIII. ermangelte. Es hatte ein
Ende mit dem dilettantischen Erringenwollen von Ruhm und Königreichen. Ludwig war,
als er die Regierung antrat, ein gereifter Mann, dessen langgehegte Pläne nun mit systematischer
Arbeit ausgeführt wurden. Seine Gedanken waren längst in vollem Maße Italien zugewandt.
Ludwigs Großmutter war eine Visconti gewesen, daraufhin machte er Ansprüche auf Mailand
geltend, und zu gleicher Zeit bereitete er sich vor, den Krieg um Neapel mit frischen Kräften
aufzunehmen.
Jetzt belohnte sich die Treue der Florentiner gegen Frankreich. Zwei Feinde drohten
der Stadt, die Medici und Cesare Borgia, dessen mittelitalischem Reiche, das er für sich
zu gründen im Begriff war, Florenz nicht fehlen sollte. Medici und Borgia standen beide
vortrefflich mit Frankreich und hofften auf die Hilfe des Königs, der ihnen gerade soviel
Hoffnungen ließ als es bedurfte, um sie an seine Politik zu fesseln, dennoch aber keinem von
beiden gestattete, den Florentinern ernstlich zu Leibe zu gehen. Denn die französische Ge-
sinnung der freien Bürger erschien dem Könige mit Recht als eine sicherere Bürgschaft für die
Anhänglichkeit der Stadt, als die Dankbarkeit Pieros oder Cesares, die er aus Erfahrung kannte.
Für den Augenblick wagten die Medici nichts gegen die Freiheit der Florentiner, wohl
aber hatten diese Pisa zu erobern und Frankreich bei gutem Willen zu erhalten. Die Verhält-
nisse waren schwieriger Natur, oft hingen die finsteren Wolken dicht über der Stadt und drohten
gewaltig; Gold, Glück und Gewandtheit aber leiteten die Blitze nebenab, und mitten in den
kriegerischen Unruhen, die ganz Italien ringsum bis dicht an ihre eigenen Mauern erfüllten,
herrschte das alte unvermeidliche Jagen nach Reichtum, Ehre und Lebensgenuß.
Unter diesen Umständen kam im Jahre 1501 ein neues Unheil, das mit einem Schlage all
die Vorteile der eben überwundenen harten Zeit hätte vernichten können. Cesare Borgia
hatte siegreich in der Romagna gekämpft und wollte sich gegen Bologna wenden. Die Bentivogli
aber erkauften den Schutz Frankreichs und der König befahl dem Herzog, von seinem Plane
zurückzutreten. Statt dessen wollte sich Cesare nun zur Eroberung von Piombino aufmachen
und dazu mußte er quer durch Toskana und das Gebiet von Florenz ziehen. Er unterhandelte
darüber aufs freundschaftlichste, denn die Florentiner hielten die Pässe der Apenninen besetzt
und konnten ihm den Eintritt verwehren. Kaum jedoch hatte er erreicht, was er wollte, als er
andere Saiten aufzog und brandschatzend in das flache Land hinunterkam.
Plötzlich waren nun auch die Medici bei ihm, die mit ihren Freunden in Florenz diesen
Moment für den günstigsten erachteten. Die Verabredung mit den Pallesken in Florenz war
getroffen und Überrumpelung der Stadt, Berufung eines Parlaments und Umsturz der Ver-
fassung die drei Stufen, die man rasch zu ersteigen hoffte. Und wie die Medici auch darin stets
den richtigen Moment zu treffen suchten, daß sie Zeiten wählten, in denen das gemeine Volk
aufgeregt war, so kamen sie jetzt während einer furchtbaren Trockenheit, wo die Früchte
auf dem Felde verdorrten und eine Mißernte und Teuerung zu erwarten stand.
Cesare verlangte, daß das Verbannungsdekret gegen die Medici zurückgenommen werde.
Er stand so drohend da, daß die Regierung schwankte, welche Antwort zu geben sei. Die
Medici hatten nur das eine bescheidene Begehren gestellt, man solle ihnen den Aufenthalt in

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