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Grimm, Herman
Michelangelo: sein Leben in Geschichte und Kultur seiner Zeit, der Blütezeit der Kunst in Florenz und Rom — Berlin: Safari-Verlag, 1941

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https://doi.org/10.11588/diglit.71912#0010
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Einleitung
Der David als Sinnbild des in seiner Jugendkraft unbesiegbaren florentinischen Staatswesens
enthält gleichsam die ganze Geschichte von Florenz.
Sixtina Die Gemälde der Sixtinischen Decke stellen, scheinbar den Geboten Gottes entgegen, Gott-
S.274-277 vaters Gestalt in verschiedenen Stufen ewigen Daseins so dar, daß niemand in diesen einander
ungleichen Figuren Gegenstände heidnischen Bilderdienstes erblicken wird. Sie sind das Höchste,
was menschlicher Phantasie, die sich auf den Schöpfer aller Dinge richtet, bildlich erreichbar ist.
Das unvollendete Grabdenkmal der Kapelle von San Lorenzo ist der würdigste Versuch,
das Andenken einer mächtigen herrschenden Familie zu ehren.
Moses Wäre Papst Julius' Grabdenkmal dem ersten Gedanken nach zustande gekommen, so würde
Bild S.309 dieses an erster Stelle von mir genannt worden sein. Aber die aus der anfänglichen Gestalt
Der heroische dieses Monumentes allein übriggebliebenen Statuen des sterbenden Sklaven und des Moses
^{"s'^o '"' nach verschiedenen Richtungen die gewaltigsten Werke der neueren Skulptur. Moses ist
ein Bild männlicher Kraft, die die Völker mit sich fortreißt und durch Meere und Wüsten leitet.
Das jüngste Das Jüngste Gericht faßt in mythischer Gestalt zusammen, was alle Völker und alle Zeiten
Bilds";': über das Eintreten eines allmächtigen letzten Strafgerichtes und letzter ewiger Seligkeit voraus-
träumen.
Peterskirche Die Peterskirche ist die gewaltigste architektonische Verherrlichung einer irdischen, der
Bild s.352 Verehrung des Göttlichen geweihten Stätte.
Diese sieben Werke gehörten einst nur Rom und Florenz an. Dann Italien. Dann den romani-
schen Völkern. Heute der gesamten Menschheit. Jeder, welchen Ursprungs er auch sei und
wo er wohnt, wird sich von ihnen ergriffen fühlen. Darum heißt Michelangelo der größte
Künstler, der je gelebt hat.
So gewiß die Bahnen der Gestirne ineinandergehen, daß jedes den Weg des anderen bedingt
und mit seinen geringsten Eigentümlichkeiten sich fühlbar macht, so gewiß bilden die Menschen,
welche leben, gelebt haben und leben werden, in sich ein ungeheures System, wo die kleinste Be-
wegung jedes einzelnen unmerklich meistens, aber dennoch bedingend auf den allgemeinen unauf-
haltsamen Fortschritt einwirkt. Die Geschichte ist die Erzählung der Schwankungen, die im großen
eintreten, weil im einzelnen die Kräfte der Menschen ungleich sind. Unser Trieb, Geschichte
zu studieren, ist die Sehnsucht, das Gesetz dieser Funktionen und der sie bedingenden Kraft-
verteilung zu erkennen, und indem sich hier unserem Blicke Strömungen sowohl, als unbeweg-
liche Stellen oder im Sturm gegeneinander brausende Wirbel zeigen, entdecken wir als die
bewegende Kraft Männer, große, gewaltige Erscheinungen, die mit ungeheurer Einwirkung
ihres Geistes die übrigen Millionen lenken, die niedriger und dumpfer sich ihnen hinzugeben
gezwungen sind. Diese Männer sind die großen Männer der Geschichte, die Anhaltspunkte für
den in den unendlichen Tatsachen herumtastenden Geist; wo sie erscheinen, werden die Zeiten
licht und verständlich, wo sie fehlen, herrscht unverwüstliche Dunkelheit; und werden uns
Massen sogenannter Tatsachen aus einer Epoche mitgeteilt, der große Männer mangeln, es sind
lauter Dinge ohne Maß und Gewicht, die zusammengestellt, so bedeutenden Raum sie ein-
nehmen, kein Ganzes bilden.
Aus der Zahl der Bürger von Florenz sind diese als große Männer zu bezeichnen: Dante,
Leonardo da Vinci und Michelangelo. Raffael stammte aus Urbino; doch darf er dazu gerechnet
werden, weil er als Künstler für einen Florentiner gelten könnte. Dante und Michelangelo
stehen am höchsten. Es ist nicht die Folge einseitiger Vorliebe, wenn dies Buch, das sich mit

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