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Grimm, Herman
Michelangelo: sein Leben in Geschichte und Kultur seiner Zeit, der Blütezeit der Kunst in Florenz und Rom — Berlin: Safari-Verlag, 1941

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https://doi.org/10.11588/diglit.71912#0210
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Michelangelo und Vittoria Colonna
falt, ein mitleidvolles Herz in sie zu senken. Und all meine Seufzer nimmt er auch, und meine
Tränen sammelt er und gibt sie dem, der jene lieben wird, wie ich dich liebe. Und glücklicher als
ich rührt er vielleicht mit meinen Qualen ihr Herz, und sie gewährt ihm die Gunst, die mir versagt blieb.
Wie werden Gegenwart und Zukunft hier einander entgegengestellt. Es ist die schönste
Verherrlichung der Resignation, die mir in den Werken eines Dichters begegnet ist. Es ist
reizend, wie er das Verzichten in Erwartung verwandelt und das Verschwinden der Jugend
und Schönheit fast zu etwas Freudigem gestaltet.
Vittorias Vielleicht daß Michelangelo, wie er überhaupt durch Vittoria zur Dichtkunst zurückgeführt
af ward, von ihr auch den Anstoß zu diesen Anschauungen erhielt, denn der Inhalt all ihrer Verse
Michelangelo' .
ist Verherrlichung des Verlorenen, Entsagung für die Gegenwart und Erwartung zukünftiger
Ausgleichung aller Schmerzen. Die Sehnsucht nach ihrem Gemahl, der, immer im Felde, sie
auf Ischia allein ließ, gab ihr die ersten Verse ein. Die Trauer um seinen Verlust, die natür-
liche Hinneigung zu geistlichen Gedanken, das gänzliche Versenken endlich, nachdem all
ihre Hoffnung auf diese Welt gescheitert war, in religiöse Gefühle, bilden die natürliche Stufen-
leiter, auf der sie als Dichterin weiterging. Nichts Verschiedeneres aber als Michelangelos
Gedichte und die ihrigen. Er immer mit einem fest greifbaren Gedanken im Sinne, den er so
stark und einfach als möglich, oft hart in den Worten sogar, zu geben sucht, sie dagegen in
sanften Wendungen ein Gefühl umschreibend, das in Bildern sich spiegelnd, nicht, wie Michel-
angelos Gedanken, in die Tiefe dringt. Der Wohlklang ihrer Verse aber ist so groß, daß ihn
selbst der empfindet, der nicht Italiener ist, und in ihren Anschauungen zuweilen hinreißende
Wahrheit.

Und wie das Licht die sanften Strahlen sendet,
Fällt meiner Sünden dunkler Mantel nieder,
Im weißen Kleid fühl ich die Reinheit wieder
Der ersten Unschuld und der ersten Liebe.

So endet eines ihrer Sonette, in dem sie von der göttlichen Flamme redet, der sie Trost ver-
danke. Und diese Stimmung in den meisten Gedichten, Versöhnung suchend mit sich selbst,
im Geiste Contarinis und seiner Freunde. Man verschlang ihre Gedichte in Italien. Ohne
Vittorias Vorwissen war der erste Druck veranstaltet worden, fünf Ausgaben folgten in den näch-
sten zehn Jahren, und das Verlangen nach neuem Druck war auch damit nicht gestillt. Sie pflegte,
was sie neu dichtete, Michelangelo zu senden. Vierzig Sonette empfing er so, die er zu den ersten,
die er von ihr erhalten, in dasselbe Buch hinten anbinden ließ. In späteren Jahren schickt er
es einmal einem Geistlichen nach Florenz, einem alten Bekannten, mit dem er in Briefwechsel
stand und der ihn um die Mitteilung seiner Reliquien Vittorias gebeten hatte.
Wann aber wurde jenes Sonett, das ich in Prosa übersetzt habe, weil ich keine Verse dafür
finden konnte, von Michelangelo gedichtet? Ich sprach nur eine Vermutung aus, wenn ich
überhaupt annahm, daß es an Vittoria gerichtet sei, und gebe auch jetzt nicht mehr, wenn
ich sage, daß es nach 1542 von ihm geschrieben zu sein scheint, nach Vittorias Rückkehr nach
Rom im Herbste dieses Jahres, wo sie Viterbo wieder verließ, vielleicht weil der Kardinal
Polo von da an im Dienste der Kirche von dort abwesend war.
Vittorias Es muß ein trauriges Wiedersehen gewesen sein zwischen Vittoria und Michelangelo. Sie hatte
Krankheit^ Viterbo ejne heftige Krankheit durchgemacht (wir wissen das aus den besorgten Briefen
Tolomeis), sie kam mit zerrütteter Gesundheit und, da nun auch das letzte noch, das sie treffen
konnte, der Untergang ihrer Familie eingebrochen war über sie, mit völlig geknickter Lebens-
kraft. Mag die Demut Vittorias vor Gott und Kirche noch so groß und wahr gewesen sein, sie
blieb immer eine Colonna, eine Fürstentochter der ersten und stolzesten Familie in Italien.

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