13
regungen. In diesem Falle aber zündete das Feuer seiner
Rede nicht. Seine Wünsche entsprachen den Bedürfnissen
der Zeitgenossen zu wenig. Anstatt auf breiter ethnologischer
Grundlage eine Kunstwissenschaft zu bauen, wie sie Herder ge-
träumt hatte, liess man in Deutschland die luftigen Construc-
tionen der speculativen Kunstphilosophie in die Wolken steigen.
Der nächste Versuch zu einer Sociologie der Kunst wurde
erst nach einer langen Pause in Frankreich unternommen.
Taine ist zuweilen als der Begründer der sociologischen Kunst-
forschung gefeiert worden. Allein weder seine Auffassung noch
seine Lösung der Aufgabe geben ihm ein Recht auf diesen
Ruhm. Er erhebt sich über seine Vorgänger nur durch rein
äusserliche Vorzüge. Seine Darstellung scheint ausserordent-
lich klar; aber sie ist es keineswegs. Die Klarheit der Form
dient häufig nur dazu, um die Unklarheit des Inhaltes zu ver-
bergen. — Taine’s Ausführungen gipfeln in dem berühmten
Satze, den er für ein Gesetz erklärt: „L’oeuvre d’art est deter-
minee par un ensemble qui est l’etat general de l’esprit et des
moeurs environnantes.“ — Dieser „etat general“ bildet eine
„temperature morale“, welche für die Entwicklung der Kunst
dieselbe Bedeutung hat wie die „temperature physique“ für
die Entwicklung der Flora. Die Kunst verdankt dieser mora-
lischen Temperatur zwar nicht ihren Ursprung, wohl aber ihren
Charakter. In jedem Zeiträume wird, ungefähr die gleiche
Anzahl von künstlerisch veranlagten Individuen geboren. Aus
dieser Zahl aber gelangen nur diejenigen zur Entwicklung,
deren Wesen und Schaffen sich der bestehenden moralischen
Temperatur, deren Ausdruck der herrschende Geschmack ist,
anpasst. Die Uebrigen verkrüppeln oder gehen ganz zu Grunde.
Auch die Entwicklung der Kunst vollzieht sich unter dem
grossen Gesetze der Natürlichen Zuchtwahl. — Wenn man die
moralische Temperatur näher untersucht, so findet man drei
Elemente, durch deren Zusammenwirken sie entsteht: — die
Race, das Klima, und das Moment, d. i. die Summe der be-
reits vorhandenen kulturellen Producte. — Hennequin hat in
regungen. In diesem Falle aber zündete das Feuer seiner
Rede nicht. Seine Wünsche entsprachen den Bedürfnissen
der Zeitgenossen zu wenig. Anstatt auf breiter ethnologischer
Grundlage eine Kunstwissenschaft zu bauen, wie sie Herder ge-
träumt hatte, liess man in Deutschland die luftigen Construc-
tionen der speculativen Kunstphilosophie in die Wolken steigen.
Der nächste Versuch zu einer Sociologie der Kunst wurde
erst nach einer langen Pause in Frankreich unternommen.
Taine ist zuweilen als der Begründer der sociologischen Kunst-
forschung gefeiert worden. Allein weder seine Auffassung noch
seine Lösung der Aufgabe geben ihm ein Recht auf diesen
Ruhm. Er erhebt sich über seine Vorgänger nur durch rein
äusserliche Vorzüge. Seine Darstellung scheint ausserordent-
lich klar; aber sie ist es keineswegs. Die Klarheit der Form
dient häufig nur dazu, um die Unklarheit des Inhaltes zu ver-
bergen. — Taine’s Ausführungen gipfeln in dem berühmten
Satze, den er für ein Gesetz erklärt: „L’oeuvre d’art est deter-
minee par un ensemble qui est l’etat general de l’esprit et des
moeurs environnantes.“ — Dieser „etat general“ bildet eine
„temperature morale“, welche für die Entwicklung der Kunst
dieselbe Bedeutung hat wie die „temperature physique“ für
die Entwicklung der Flora. Die Kunst verdankt dieser mora-
lischen Temperatur zwar nicht ihren Ursprung, wohl aber ihren
Charakter. In jedem Zeiträume wird, ungefähr die gleiche
Anzahl von künstlerisch veranlagten Individuen geboren. Aus
dieser Zahl aber gelangen nur diejenigen zur Entwicklung,
deren Wesen und Schaffen sich der bestehenden moralischen
Temperatur, deren Ausdruck der herrschende Geschmack ist,
anpasst. Die Uebrigen verkrüppeln oder gehen ganz zu Grunde.
Auch die Entwicklung der Kunst vollzieht sich unter dem
grossen Gesetze der Natürlichen Zuchtwahl. — Wenn man die
moralische Temperatur näher untersucht, so findet man drei
Elemente, durch deren Zusammenwirken sie entsteht: — die
Race, das Klima, und das Moment, d. i. die Summe der be-
reits vorhandenen kulturellen Producte. — Hennequin hat in