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die Malerei von Cabanel zu Pitvis de Chavanne, von
Moreau zu Redon, von Raffaelli zu Hebert, die Musik
von Cesar Franck zu Gounod und zu Offenbach“ '. Vor
allen Dingen aber übersieht Taine, dass die Kunst dem
Geschmacke nicht bloss passiv, sondern auch activ gegen-
übersteht. Wenn der Künstler bis zu einem gewissen Grade
von dem Publikum erzogen wird, so wird das Publikum in
einem weit höheren Grade von dem Künstler erzogen. Die
Verhältnisse liegen in der Wirklichkeit gerade umgekehrt wie
in der „Philosophie de l’art“. Waren Beethoven’s Symphonieen
etwa dem musikalischen Verständnisse der gemüthlichen Wiener
angepasst? — War Goethe’s Faust geeignet, um in den ton-
angebenden ästhetischen Kränzchen jener Zeit zum Thee
genossen zu werden? — Entspricht Boecklin’s Malerei dem
herrschenden Geschmacke des deutschen Publikums? — Fast
jedes grosse Kunstwerk ist nicht für, sondern gegen den herr-
schenden Geschmack geschaffen; fast jeder grosse Künstler ist
vom Publikum nicht erwählt, sondern verworfen, und es war
wahrlich nicht die Schuld des Publikums, dass er sich im
Kampfe um das Dasein erhielt. Die grosse Kunst ist stets
•eine Fürstin von Gottes Gnaden gewesen, nicht eine Dirne
von Pöbels Gnaden. Diejenige Kunst, welche der herrschende
Geschmack thatsächlich auswählt und unterhält, würde Taine
schwerlich bewogen haben, eine „Philosophie de l’art“ zu
schreiben. Es hat allerdings zu jeder Zeit eine Kunst ge-
geben, die sich dem Publikum prostituirte, und zu keiner Zeit
hat sie ihr Gewerbe in solcher Ausdehnung und mit solchem
Erfolge betrieben als in dieser erleuchteten demokratischen
Epoche, welche die Operette, die Posse und den Sensations-
roman gezüchtet hat. Vom Schauspielhaus zum Tingeltangel,
— auf diesem Wege wird die Kunst durch den herrschenden
Geschmack vervollkommnet. Wahrhaftig, hätte Taine eine
Satire auf eine gewisse Form des Darwinismus schreiben

1 Henneqüin, La Oritique scientifique. 116.
 
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