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Der ästhetische Reiz des primitiven Körperschmuckes
ist also zum grossen Theile ein Geschenk der Natur; indessen
der Antheil, welchen die Kunst an ihm hat, ist desshalb keines-
wegs gering. Auch das roheste Volk verwendet jene natür-
lichen Zierrathe nicht, wie es sie findet, sondern es sucht
ihnen einen höheren Werth zu geben, indem es sie im ästhe-
tischen Sinne verarbeitet. Das Fell wird in Fransen zerschnitten,
die Zähne, Früchte und Muscheln werden in regelmässiger
Reihung zu Ketten vereint, die Federn werden zu einem
Büschel oder zu einer Krone verbunden. Es genügt, auf die
ästhetischen Principien hinzuweisen, welche in diesen ver-
schiedenen kosmetischen Formen zum Ausdrucke kommen. Es
sind dieselben, welche den Körperschmuck auf allen Kultur-
stufen beherrschen: — das Princip der Symmetrie und das
Princip der Eurhythmie. Das Erste musste sich aus der
Natur des Körpers, das Zweite aus der Natur des Schmuckes
ergeben. Die symmetrische Bildung des Körpers zwingt zu
einer symmetrischen Ordnung des Schmuckes. In der That
ist sowohl der feste als der bewegliche Schmuck der Primi-
tiven symmetrisch geordnet, mit Ausnahme der Fälle, in denen
durch die Asymmetrie, welche als ungewohnt und ungefällig
empfunden wird, ein lächerlicher oder abschreckender Eindruck
hervorgerufen werden soll. Dass die Narbenzeichnungen und
Tattuirungen nur einseitig ausgeführt sind, beweist nicht etwa,
dass man keine symmetrische Anordnung darstellen wollte,
sondern dass man sie noch nicht darstellen konnte. Die Ver-
zierungen dieser Art erfordern lange Jahre zu ihrer Durch-
führung. Asymmetrische Hautmuster sind in der Regel
unfertige Hautmuster; die vollendeten sind fast immer sym-
metrisch1. — Nach dem Principe der rhythmischen Anordnung
braucht man ebenfalls nicht erst zu suchen. Sobald man eine An-

1 Man dai’f freilich die besonders in Australien häufigen Narben,
die von sanitären Einschnitten herrühren, nicht mit den Ziernarben ver-
wechseln.
 
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