Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Grueber, Bernhard
Vergleichende Sammlungen für christliche Baukunst (Band 1) — Augsburg, 1839

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.3142#0005
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
m

findet sich die Anwendung der Kehlleisten- oder Karniesslinie, deren zwei dann, sich
um einen Rundstab windend so gegenüber stehen, dass sie einen in der Mitte gegen
vorwärts ausgeschweiften Wulst bilden. Verzierungen ermangeln den frühern Bauten
beinahe gänzlich, vielleicht als nicht passend für den Ernst der Kirche gehalten, wahr-
scheinlicher aber aus Mangel an Bildhauern, wie überhaupt die ganze Periode hin-
durch die christliche Plastik zurückblieb. Bis in die oben angegebene Zeit sehen
wir die antiken Ornamente, meistens die Palmetten, sehr roh nachgeahmt, beim Ka-
pital aber das korinthische benützt. Nun tritt uns plötzlich der würfelförmige
Knauf als Kapiäl entgegen, der anfangs glatt blieb, blos, gegen den Schaft zu, abge-
rundet, bald mit den abentheuerlichsten Bas-reliefs verschlungener Menschen- und
Thiergestalten bearbeitet wurde.

Mit dem Eintritt in das dreizehnte Jahrhundert gelangen wir in das Reich
der phantasiereichen, viel verschlungenen Formen, und zugleich in jene Zeit, in der
die christliche Bauart, obgleich bei allen Völkern des Abendlandes geübt, bei den
germanischen Stämmen zu solcher Höhe erblühte, dass teutsche Baumeister von nun
an beinahe für alle bedeutenden Bauten in Italien und Spanien verschrieben wurden;
so, dass damals schon die Benennung Opus teutonicum, oder Opus gothicum
sowohl den Spitzbogen, als den gesammten Styl bezeichnete. Diese glänzende Kunst-
periode sollte aber auch in die würdevollste Zeit des teutschen Reiches fallen,
in die Epoche des hohenstaufischen Kaiserhauses , als die freien Städte sich
erhoben hatten, Elsas, Burgund, Lothringen dem Reiche einverleibt, die frän-
kischen Stämme noch weniger von einander geschieden, und die Lombardey nebst
Sizilien an Teutschland pflichtig waren. Damals erklangen zugleich der Nibelungen
Noth und süsse Minnelieder durch unsere Gauen, und die ersten Bauvereine in Köln
und Strassburg wurden gegründet.

Alle einzelnen Abweichungen, oder gar die vielfachen, für Architektur nutzlosen
Abenteuerlichkeiten in den Bereich dieser Sammlungen aufzunehmen, lag ausser
meinem Plan und Zwecke, da ich nach vielseitigem Wunsche dies Werk möglichst an-
wendbar einrichten wollte. Darum wurden aus einem grossenVorrathevon Materialien nur
solche Studien ausgewählt, die für geschichtliche Entwickelung durchaus nöthig waren,
oder durch Motiv und Ausarbeitung architektonische Anhaltspunkte zu werden verdienen.

Fest überzeugt, die christliche oder teutsche Baukunst habe nicht, wie die glück-
lichere griechische ihren höchsten Ausbildungspunkt erreicht, halte ich dafür: dass
uns durch genaues Studium und möglichst vielfache Vergleichung der Monumente
bald die alten Regeln so einleuchtend werden könnten, um nach langer Unterbrech-
ung wieder im frühern Geiste fortzufahren, und die Kunst der einst unterdrückten
Entwickelung entgegen zu führen. Nur auf solche Weise würde ein, unsern
klimatischen, religiösen und geselligen Verhältnissen angemessener Styl eingeführt,
wie auch dem zwecklosen, Geist und Herz tödtenden Kopiren gesteuert: dem künst-
 
Annotationen