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Guhl, Ernst
Versuch ueber das Ionische Kapitael: e. Beitrag zur Geschichte d. griech. Architektur — Berlin, 1845

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https://doi.org/10.11588/diglit.12653#0010
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Entwickelung der Kunst von der äufsersten Bedeutung und sie mufslen ebenso
nolliwcndig durchgemacht werden, als sie späterhin, wenn überhaupt ein Forl-
schritt, ein freierer Aufschwung in die schon erstarrte und slagnirende Kunst-
geschichte treten sollte, nothwendig überschritten werden mufslen. Die grie-
chische Kunst nun that jenen gewalligen Schritt, womit sie die Lehrjahre, die
Zeit des Zwanges verliefs und indem sie es verschmähte, als ein Mittel zur
Erreichung fremdartiger Zwecke zu dienen, wagte sie es zum ersten Male
sich selber Zweck zu sein.

Indem sich nun so die griechische Architektur durch keinerlei äufser-
liche Einflüsse und Motive mehr bestimmen liefs, indem sie nur der Darstel-
lung rein architektonischer Kunst-Ideen nachging, so ergiebt sich daraus für
ihre Geschichte der eigentümliche und wichtige Umstand, dafs man von ihren
vorliegenden einfachen Anfängen aus eine nalurgemäfse, konsequente Ent-
wickelung architektonischer Gedanken und somit aller ihrer Formen und Glieder
verfolgen kann, die jene Gedanken zur Erscheinung zu bringen haben und
die nichts als der reale, lebendige Körper derselben sind.

Beim doriseben Slvle ist dies Verhältnis durchaus unzweifelhaft und
mit wenigen Ausnahmen allgemein anerkannt. In seiner Totalität stellt der-
selbe einen solchen, auf rein architektonischen Grundlagen beruhenden und in
sich vollkommen abgeschlossenen Jmtwickelungsgang dar, dessen Anfänge, in
der Darstellung einfacher statischer Grund-Ideen bestehend, leicht zu erkennen
sind und dessen Fortschritt, ohne durch fremdartige Motive bestimmt zu sein,
nur das Resultat der notwendigen Entwickelung und Ausbildung rein architek-
tonischer Ideen ist.

Anders dagegen scheint es sich mit dem ionischen Style zu verhallen;
in diesem ist der Kreis architektonischer Formen im Verdeich mit dem dori-
sehen um ein Beträchtliches erweitert; neue, zum Theil auffallende Glieder
machen sich geltend, ja es treten Bildungen in ihm auf, von denen es auf
den ersten Anblick schwer, wo nicht unmöglich erscheint, sie mit denen des
dorischen Baues in Einklang und inneren Zusammenhang zu br-ingen. Daher
ist man es denn gewohnt, in dem ionischen Bau entweder ein durchaus fremd-
artiges Bildungs-Element anzunehmen oder doch mehr äufserliche und zufällige
Umstände vorauszusetzen, durch welche der schlichte und einfache Bildungsgang
des dorischen Baues unierbrochen und jene neuen Formen hervorgerufen seien.

Unler allen Theilen der ionischen Architektur ist es nun vorzüglich das
Volutenkapitäl, das durch seine eigentümliche Gestaltung der Ansicht, es wallen
 
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