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Guhl, Ernst Karl [Hrsg.]; Caspar, Josef [Hrsg.]; Lübke, Wilhelm [Bearb.]
Denkmäler der Kunst: zur Übersicht ihres Entwicklungs-Ganges von den ersten künstlerischen Versuchen bis zu den Standpunkten der Gegenwart (Band 2): Denkmäler der romantischen Kunst — Stuttgart, 1851

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https://doi.org/10.11588/diglit.66422#0070
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TAFEL XXX. (63.)

ITALIENISCHE
Fig. 1 und 2. Skulpt uren vom Dogenpalast zu Venedig. — Wir haben schon
früher (vgl. Taf. 57, Fig. 11) des Dogenpalastes zu Venedig, als eines der gewaltigsten Palastbauten
gothischen Styles in jener an Palästen so reichen Stadt Erwähnung gethan. Der Architekt desselben,
Filippo Calendario, der gemeinschaftlich mit dem ihm befreundeten Dogen Marino Faliero im Jahre
1354 den Tod durch Henkershand erlitt, war ebenso gross als Bildhauer; das eine Werk sollte
ihm gleichen Ruhm in den beiden Künsten sichern. Sämmtliche Kapitelle nämlich der starken
Rundsäulen, welche die unteren Arkaden des Palastes tragen, sowie die an anderen Theilen des Baues
befindlichen sind mit den reichsten Skulpturen geschmückt, die, auch von Calendario’s Hand herrührend,
eine Meisterschaft in der Mannigfaltigkeit der Charaktere, sowie in der leichten Führung des Meissels
bekunden, wie sie sich nach Cicognara kaum in den besten Werken der Pisani vorfindet. Eine ganze
Figur von diesen Skulpturen haben wir schon auf Taf. 61, Fig. 5, mitgetheilt; wir geben hier, da
der Raum es gestattet, als eine erwünschte Ergänzung zwei Paare von je zwei Köpfen, die in dem
gothischen Laubwerk der Kapitelle angebracht sind; die beiden männlichen Köpfe gehören einer
Säule des Hofes, die beiden weiblichen einer Säule von den äussern, nach dem Platz gekehrten
Arkaden an. — Cicognara, storia della scultura I, tav. 30.
Fig. 3 und 4. L aura und Petrarca. — Wiederum in Ergänzung der Skulpturentafel 61
geben wir hier die Porträtköpfe zweier viel berühmten und viel besungenen Persönlichkeiten, die der
Leser schon eben desshalb hier begrüssen würde, wenn auch die künstlerische Bedeutsamkeit der beiden
Porträts nicht so gross wäre, um, wie es in der That der Fall ist, als wichtige Beispiele plastischer
Thätigkeit während der germanischen Periode in Italien gelten zu können. Es sind Marmorreliefs
in der Casa Peruzzi zu Siena befindlich, von geringerer als Lebensgrösse, und durch die Unterschrift
„Petrarca“ und „Diva Laura“ hinlänglich bekundet. Simon von Siena hat das Werk im Jahre 1344
gearbeitet („Simon de Senis me fecit sub anno Domini MCCCXLIIH“); ein italienisches Gedicht, das
ebenfalls darunter geschrieben, enthält das Lob des dargestellten Paares. — Cicognara a. a. 0. tav. 41.
Fig. 5. Der Triumph des Todes von Orgagna.— Nachdem wir auf der vorigen Tafel
in einer Reihe der bedeutendsten Werke Giottos, sowie seiner Schüler und Nachfolger eine Ueber-
sicht der verschiedenen Richtungen der Malerei in Italien während der Periode des germanischen
Styles gegeben haben, fügen wir unter Fig. 5 die Abbildung eines Werkes hinzu, das nach dem
Reichthum der Darstellung sowohl, als nach der Tiefe des Gedankens vielleicht als das grossartigste
Erzeugniss dieser Periode bezeichnet werden darf. Orgagna (Andrea di Cione), der von 1329 bis
1380 lebte, hatte schon in Florenz sehr bedeutende Werke in der Freskomalerei ausgeführt, als er
zwei grosse Wandgemälde in der offenen Umgangshalle des Campo Santo von Pisa unternahm, jenes
hernichen Friedhofes, der recht eigentlich als die Arena der sich entwickelnden italienischen Kunst
betrachtet werden kann. Das erste stellt das jüngste Gericht, das zweite den Triumph des Todes

MALEREI.
dar. Dies letztere gibt unsere Abbildung unter Fig. 5 wieder. Wir sehen hier in einer grossräumi-
gen figurenreichen Darstellung einen grossen Gedanken, den Triumph des Todes über allen Glanz
und alle Pracht des Weltlebens in ungemein einfacher und eben dieser Einfachheit wegen ungemein
ergreifender Weise durchgeführt. Eine grossartige Poesie, eine tiefe Symbolik weht durch das Werk .
und alle seine Einzelheiten, nicht jene in jüngster Zeit so gefeierte Symbolik, bei der man erst lange
nachdenken muss, um den willkürlich ersonnenen und künstlich durchgeführten Ideen des Künstlers
beizukommen, und deren Werke selten ohne Kommentar verstanden werden können, sondern eine
Symbolik, die einen grossen poetischen, leicht verständlichen Gedanken erfasst und nun nach allen
seinen natürlich in ihm liegenden Momenten in plastischer Bestimmtheit dem Beschauer vorführt, und
die eben dadurch von so grosser Wirksamkeit ist, dass sowohl der Gedanke selbst, als auch die
Formen, in denen er erscheint, dem Leben und der ihm zu Grunde liegenden Anschauungsweise ent-
nommen und somit einem Jeden leicht zugänglich sind. So ist es hier. Wir sehen die Kinder der Welt,
und darin ein Bild von uns allen, sich aller Herrlichkeit des Daseins erfreuend, dicht an der Grenze des
Todes und des Verderbens, von der sie keine Ahnung haben; wir sehen sie ferner, wie ihnen inmitten
heiteren Genusses Tod und Vergänglichkeit in schauerlicher Gestalt entgegentritt und sie aufschreckt
aus dem Rausche des Vergnügens. Hier sitzt eine Gesellschaft schöner und glücklicher Menschen,
Blumen sprossen zu ihren Füssen, über ihnen erhebt sich die schlanke Myrte und „im dunklen Laub’
die Goldorange glüht.“ Es sind Herren und Damen, sie sind in anmuthigem Gespräch begriffen, Ge-
sang und Musik ertönt, und es sind nicht blos die Amoretten mit der brennenden Fackel der Liebe,
die uns an zartere und süssere Bezüge unter ihnen gemahnen. Mir ist es, als sähe ich Pampinea,
und Fiametta und Filomene und wie ihre schönen Gefährtinnen alle heissen, und Dioneo und Pamfilo
und Filostrato, wie sie uns der Zeitgenosse des Orgagna, Boccaccio in dem Decameron so schön
und anmuthig vorgeführt hat — überdies sind es, wie es scheint, auch gerade sieben Damen und
drei Herren, äusser dem Geigenspieler, der der Diener einer, etwa Sirisco oder Tindaro sein
könnte. Und wie jene, inmitten der furchtbaren Verheerungen der Pest unbekümmert ihres Lebens
und aller seiner Reize in köstlicher Abgeschlossenheit sich freuten, so koset und tändelt auch unsere
Gesellschaft, ohne Ahnung, dass auch ihre Lust dicht an die Schrecken des Elends und des Todes
gränzt, deren Bilder Orgagna in erschreckendem Gegensatz dicht neben die der Freude und des
Genusses gesetzt hat: da liegen sie in wüstem Durcheinander; die Hohen der Welt, vom lode da-
hin gerafft, neben ihnen die Bilder des weltlichen Jammers und Elends, Kranke, Krüppel und Bettler.
Auf der andern Seite des in naiver und doch geistreicher Weise getheilten Bildes sehen wir
einen lustigen Jagdzug, voran der Fürst mit seiner zarten und schönen Genossin, dann die Ritter
mit dem Falken auf der Hand und die anmuthigen Damen und die Pagen mit den Hunden und dem
erlegten Wild. Da stutzen die Pferde und wenden schauernd zurück, Entsetzen ergreift die Gesell-
schaft, die zu lustigem Spiele ausgezogen war, sie starren in drei offene Särge:
 
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