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Guhl, Ernst Karl [Hrsg.]; Caspar, Josef [Hrsg.]; Lübke, Wilhelm [Bearb.]
Denkmäler der Kunst: zur Übersicht ihres Entwicklungs-Ganges von den ersten künstlerischen Versuchen bis zu den Standpunkten der Gegenwart (Band 4): Die Kunstdenkmäler der Gegenwart — Stuttgart, 1856

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https://doi.org/10.11588/diglit.2145#0056
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und reinsten Werke gothischer Architektur, der Dom zu Amiens (vgl. Fig. 3 auf Taf. 50) ist ebenfalls
reichlich ausgestattet mit Statuen, von denen wir die zusammengehörigen der Maria mit dem Kinde
und des Hohenpriesters, der das Kind behufs der auszuführenden Beschneidung entgegenzunehmen bereit
ist, mittheilen. Bei einer allgemeinen Stylverwandtschaft mit den Arbeiten von Chartres, bei ähnlicher
Schlankheit der Gestalten, und ähnlicher Gewandbehandlung, gibt sich hier doch ein Element alter-
thümlicher Befangenheit zu erkennen, welches vielleicht auf eine etwas frühere Zeit hinweist. — Nach
einer Photographie.
Fig. 3-5. Statuen vom Dom zu Rheims. — Die höchste Vollendung erreicht die
französische Sculptur der frühgothischen Epoche in den zahlreichen Statuen und Reliefs, mit welchen
die Fagade des ebenfalls um die Mitte des 13. Jahrhunderts fertig gewordenen Doms zu Rheims (vgl.
auf Taf. 51 Fig. 1 und 5) verschwenderisch ausgestattet ist. Hier zeigt sich eine solche Freiheit und
Sicherheit in der Kenntniss und Behandlung des menschlichen Körpers, eine solche mannichfaltige
Schönheit in der Motivirung der Gewandung, in der Haltung und Bewegung der Gestalten, eine solche
Fülle von bedeutsamen und edlen Physiognomieen, dass wir diesen Arbeiten eine der ersten Stellen
unter Allem, was die Plastik des Mittelalters hervorgebracht, anweisen müssen. Zum Beleg dessen
geben wir in treuer Abbildung nach französischen Photographieen unter Fig. 3 die Gestalt eines Märtyrers,
vielleicht des Laurentius, unter Fig. 4 den unübertrefflich schönen und grossartigen Christus vom Portal
des nördlichen Kreuzschiffes und unter Fig. 5 eine edle jugendliche Gestalt von einem Portal der Fagade.
Fig. 6. Relief v om Dom zu Rheims. — Um ein Beispiel von der Leichtigkeit und Anmuth
der umfangreicheren Reliefcompositionen zu bieten, nehmen wir von einem Portal derselben Kirche die
Darstellung Abraham’s, der in seinem Schoosse die Seelen der Gerechten hält, und welchem Engel
noch andere Seelen zutragen. Dies Relief findet sich an dem Tympanon des nördlichen Portals, vor
dessen Mittelpfeiler die unter Fig. 4 abgebildete Christusgestalt steht. Das Tympanon ist durch
horizontale Streifen in mehrere Abtheilungen zerlegt, welche die Auferstehung und das jüngste Gericht
in strengem Reliefstyl behandeln. Dem Abraham gegenüber ist der Höllenschlund dargestellt, in welchen
ein Teufel die Sünder, darunter Könige und Bischöfe, mittelst einer um sie geschlungenen Kette hinein-
reisst. Ueber dem Ganzen thront feierlich Christus als Weltrichter. — Nach einer Photographie.
Fig. 7. Der Tod der h eiligen Maria. Relief vom Münster zu Strassburg. —
Das Strassburger Münster (vgl. Fig. 8 auf Taf. 53), eines der grossartigsten Werke gothischer Baukunst,
ist mit einem an französischen Kathedralen mehr als an deutschen Domen üblichen Reichthum von Sculp-
turen geschmückt. Nicht allein die Fagade, sondern auch die Südseite des in romanischem Styl erbauten
Querschiffes ist mit Reliefs und Bildsäulen ausgestattet. Wir haben das Relief eines Bogensfeldes genommen,
die Darstellung des Todes der Maria. Nach uralter Anschauung steht Christus am Lager der eben Ab-
geschiedenen, ihre Seele in Gestalt eines kleinen Kindes auf dem Arme haltend. Ringsum die Apostel.
Der Styl dieser Arbeiten unterscheidet sich wesentlich von dem der eben betrachteten französischen
Sculpturen. Die Köpfe sind typischer, gleichförmiger, die Gestalten überhaupt wenig individualisirt, die
Gewandung in einer Unzahl feiner Falten höchst geschickt, aber etwas manitirt behandelt. Wahrschein-

lich fällt die Enstehung dieses Reliefs in den Anfang des 14. Jahrhunderts, um welche Zeit viel am
Münster gearbeitet wurde und namentlich auch Sabine, die Tochter Meister Erwin’s von Steinbach, als
Bildhauerin dabei thätig war. Vielleicht rührt dies Werk von ihrer Hand. — Nach einer Photographie.
Fig, 8. Grabstein Herzog Roberts von der Normandie. — Die englische Sculptur der
gothischen Epoche hat nicht sowohl in Ausschmückung der Fagadcn, als in Ausführung von Grabmonu-
menten eine reiche Thätigkeit entfaltet, und es erscheint gewiss charakteristisch, dass schon damals die
Bildnissdarstellung in England so sehr beliebt war, wie denn auch eine entschiedene Richtung auf Por-
traitähnlichkeit vorherrscht. Damit verbindet sich eine realistische Durchführung, die um so mehr über-
rascht und als nationale Eigenthümlichkeit betrachtet werden muss, als in den übrigen Ländern die Sculptur
jener Epoche einen idealen Charakter trug. Manchmal sind die Gestalten der Ritter in schreitender
Bewegung mit gekreuzten Beinen dargestellt, wie unsre Figur zeigt, ein Motiv, welches ohne Zweifel
als ein genrehaft - naturalistisches zu bezeichnen sein wird. Wenigstens erscheint die Annahme, dass
dadurch die Betheiligung an einem Kreuzzuge habe ausgedrückt werden sollen, als nicht stichhaltig.
Herzog Robert von der Normandie, den unsre Abbildung darstellt, der älteste Sohn Wilhelm des
Eroberers, wurde auf dem Kreuzzuge des Jahres 1096 zum König von Jerusalem erwählt, lehnte aber
die Krone zu Gunsten Gottfrieds von Bouillon ab. Seine vergeblichen Kämpfe um die Krone Englands,
die mit seiner Gefangennahme und Blendung endeten, sind bekannt. Die Statue, die sich in der Kathe-
drale von Gloucester befindet und wohl erst gegen Ende des 13. Jahrhunderts ausgeführt wurde, drückt
seinen tapferen und heissblütigen Charakter treffend aus. — The monumental efflgies of Great Britain by C. A.
Stothard. London 1817, Tafel 22.
Fig. 9 U. 10. Grabmäler König Heinrichs HL von England und der Königin
Eleonore, Gemahlin Eduards I.— Diese beiden Werke zeichnen sich vor allen ähnlichen Monu-
menten Englands durch ihre Schönheit und Stylvollendung so sehr aus, dass man sie der Hand eines
italienischen Meisters zuschreiben zu müssen geglaubt hat. Indess scheint es eben so gut denkbar, dass
ein besonders begabter englischer Künstler, der seine Studien an französischen und italienischen Werken
gemacht, dieselben hervorgebracht habe, obwohl der Name des Goldschmiedes. Meister William Torell,
welchen neuere Forschung als den Urheber dieser trefflichen Denkmäler entdeckt hat, die Frage nicht mit
Gewissheit entscheidet. Beide befinden sich in der Westminsterabtei und zwar in der Kapelle Eduards
des Bekenners, beide sind, wahrscheinlich gegen Anfang des 14. Jahrhunderts (Heinrich starb 1272,
Eleonore 1290), in Erz gegossen, von meisterhafter Technik, edler Charakteristik und überraschend feiner
naturwahrer Ausführung und Modellirung. — Stothard a. a. 0., Tafel 31 u. 33.
Fig. 11. Grabmal eines Ritters mit seiner Frau. — In diesem, nicht vor der Mitte des
14. Jahrhunderts ausgeführten Werke geben wir ein Beispiel jener in England ausserordentlich zahlreichen
metallnen Grabplatten, in welche die Darstellung mit starken vertieften Umrissen eingegraben ist. Wir
machen auf den kräftigen Realismus der beiden Gestalten, die sich in der Münsterkirche auf der Insel
Sheppey befinden, auf die sorgfältige Ausprägung alles Kostümlichen besonders aufmerksam. — Stot-
hard a. a. 0., Tafel 54.
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