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Hager, Hellmut
Die Anfänge des italienischen Altarbildes: Untersuchungen zur Entstehungsgeschichte des toskanischen Hochaltarretabels — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 17: München: Schroll, 1962

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https://doi.org/10.11588/diglit.48329#0101
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keine Hinweise auf ehemalige Befestigungsmittel festzustellen. Zwei schräge Ausarbeitungen in der oberen
rückwärtigen Tafelkante dürften mit der inzwischen wieder beseitigten modernen Rahmung in Zusam-
menhang gestanden haben.
Das Bild stammt aus dem Humiliatenkonvent von S. Petronilla in Siena, der 1180 vom Priester
Giovanni Gentiluomo di Como und dem Visconte Duca di Milano gegründet wurde. Dem Apostel Thomas
geweiht, erhielt er im Jahie 1200 seine Bestätigung durch Innozenz III.51. Wegen der in Siena von
altersher großen Verehrung des Täufers Johannes vermutet della Valle, daß der auf der Tafel dargestellte
Heilige der einstige Inhaber des Patroziniums gewesen ist52.
Auch auf der Rückseite der Tafel des hl. Petrus sind keine Befestigungsspuren erhalten. Die Paliotto-
funktion wird jedoch durch den folgenden Umstand wahrscheinlich. Della Valle53 erwähnt in der heute
nicht mehr existierenden, 485 gegründeten, 1698 erneuerten Kirche S. Pietro in Banchi, deren Blütezeit
am Ende des 13. Jhs. liegt und auf der Zeichnung Macchis (18. Jh.) als ein ziemlich kleines Gebäude
dargestellt ist54, in einer Nische über dem Hauptaltar ein freskiertes Marienbild, das er stilistisch mit den
in Siena nach 1260 entstandenen Palen der Muttergottes vergleicht. Da dieses Fresko nach Analogie der
in den Voruntersuchungen aufgeführten Beispiele sicher als dessen „Retabel“ geschaffen wurde, kommt
für die Petrustafel, die, durch die Wiedergabe des thronenden Titelheiligen, sich als dem altare maggiore
zugehörig zeigt und zudem noch mit den beiden Marienszenen in den oberen Bildfeldern deutlich auf das
Fresko Bezug nimmt, kaum etwas anderes wie die Verwendung als Antependium in Frage. Die nicht in
entsprechender Weise festzustellenden Abscheuerungen können nicht als Argument gegen eine solche
Funktion gewertet werden, da auch bei Antependien durch eine weiter vorkragende Mensaplatte die
Beschädigung der Tafel vermieden werden kann.
Über die Pala des hl. Michael liegen keine alten Nachrichten vor55. Die auf der Vorderseite an der Unter-
kante sichtbaren Schäden scheinen nicht durch die Füße des Zelebranten verursacht worden zu sein. Es
handelt sich um unregelmäßige Ausbrechungen und Abarbeitungen, die weniger durch kontinuierlich
auftreffende Stöße als durch die materialmäßig die untere Kante am stärksten beanspruchende Neigung
zu erklären sind, die bei den auf die Mensa gestellten Stücken anzunehmen ist (vgl. Kap. 8). Eine
solche Verwendung wird bei diesem Stück zur Gewißheit durch die Position und die länglich gestreckte
Gestalt des auf der Rückseite oben in der Mitte erhaltenen Ringes (Abb. 237). Die Funktionsmöglich-
keit der antependienförmigen Heiligentafeln als Retabel beginnt somit um 1260 sicher nachweisbar zu
werden.
Die im Tesoro von S. Francesco zu Assisi aufbewahrte Franzpala (Abb. 129) kann vielleicht mit jenem
Bilde identifiziert werden, das Padre Boverio in seiner 1643 in italienischer Sprache publizierten, der
Erforschung der ursprünglichen Ordenskleidung gewidmeten Arbeit, über einem am Aufgang zur Ober-
kirche gelegenen Altar beschreibt: ,, ... si vede un’effigie del santo padre in un quadro, collocato sopra
l’altare avanti i gradini, pe’quali si accende alla chiesa superiore, dipinta con l’abito da Cappuccino ehe
rappresenta (per quanto si dice) la grandezza della statura del Santo: e questa pittura e antichissima come
tutti sanno“. Die ausdrückliche Betonung des für die Beweisführung Boverios so wichtigen Alters der
Tafel verbunden mit dem Hinweis auf die bei diesem Bilde besonders augenfällige Größe des Heiligen
machen die Identifizierung der Pala mit dem überlieferten Retabel in hohem Maße wahrscheinlich56.
Daß auch dieses vorher einmal als Antependium gedient haben kann, ist freilich nicht ganz ausgeschlossen
aber im Hinblick auf das eben genannte Beispiel und wegen der Verwandtschaft mit den gleich zu behan-
delnden Vita-Retabeln des hl. Franz kaum anzunehmen. Daher besteht die Möglichkeit, daß der Padre
Boverio im 17. Jh., selbst nach einem Ablauf von vierhundert Jahren, dieses Bild noch in seiner ursprüng-
lichen Verwendung gesehen hat, die erst aufgegeben wurde, als man den heute nicht mehr existierenden
Altar entfernte, der sich ja in unmittelbarer Nähe des über dem Grabe des Heiligen errichteten altare
maggiore befand, auf dem wegen der doppelseitigen Benutzbarkeit ein Franziskusretabel von vornherein
ausgeschlossen war. Wieviele Tafelbilder des 15. Jhs. sind uns heute noch in der Aufstellung des Quattro-
cento erhalten!
Die Pala der hl. Cäcilie (Abb. 126) bezeichnet Vasari57 als „dossale dell’altare di S. Cecilia“. Zu seiner Zeit
existierte jedoch schon der ursprüngliche Altar nicht mehr, da das nach dem Brande von 1304 errichtete
Gebäude, für das die Tafel nach der Annahme von Paatz58 angefertigt worden war, 1385/86 der Erweite-
rung der Piazza della Signoria zum Opfer fiel und durch eine anschließend neu geschaffene Kirche59
ersetzt wurde. Die Frage, ob die Pala nicht auch zunächst ein Paliotto gewesen ist, wie Offner meint60,

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