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ist wieder nicht sicher zu entscheiden, obwohl die späte Entstehungszeit am Anfang des 14. Jhs. eher für
ein Retabel spricht. Nur als Retabel kann auf Grund ihrer Maße (1,30 x 2,25 m)61 die vom Hochaltar der
Collegiata zu S. Gimignano herrührende Germinianustafel gedient haben (Abb. 127; Anfang 15. Jh.)62.
Sie bezeichnet den Endpunkt in der Reihe der toskanischen Palen des Antependienformats, deren
Entwicklung vollkommen akzentlos verlaufen ist. Bis zum Endstadium bleiben die Tafehi auf Grund ihrer
Gestalt für beide Verwendungszwecke geeignet. Sowohl der Gebrauch als Antependium wie der als
Retabel bestehen nebeneinander her, ohne daß bei der letztgenannten Aufstellung irgendwelche formalen
Konzessionen gemacht werden63. Eine Ausnahme bildet jedoch ein Stück wie das Giovanni del Biondo
zugeschriebene Triptychon in der Silvesterkapelle zu S. Croce, Florenz, auf dem der heilige Giovanni
Gualberto zwischen vier Szenen aus seiner Vita über einer Predella thronend dargestellt ist, die den von
Heiligenhalbfiguren begleiteten Schmerzensmann wiedergibt (um 1370)64. Die mit Spitzbogenblenden
versehenen Giebelbekrönungen lassen den Versuch offenbar werden, durch Emanzipierung aus der Tradi-
tion und eine Anleihe beim Polyptychon den überkommenen Bildtyp zu retten, dem um diese Zeit jedoch
nur noch eine kurze Lebensdauer bevorsteht. Der Grund für die im Dugento nur schleppend in Gang
kommende Verwendung als Altaraufsatz scheint darin zu bestehen, daß neben dieser infolge der Starrheit
der geometrischen Struktur sterilen Bildgattung in den Vitapalen bereits ein Tafelbildtyp entstanden ist,
der die Retabelfunktion seit dem zweiten Viertel des 13. Jhs. übernommen hat.
Retabel
Seit 1228, dem Jahr der Kanonisation des hl. Franz, tauchen erstmalig in der Toskana - und in Italien
überhaupt - Tafeln auf, die, wie das Antependium, wohl auch die Figur des Heiligen mit Szenen verbinden,
aber in ihrem Aufbau in vertikaler Richtung orientiert sind. Meist den Padre serafico als Ganzfigur
stehend darstellend, sind sie, im Gegensatz zu den aretinisch-umbrischen „Erinnerungsbildern“, mit der
wesentlich breiteren Basis von durchschnittlich etwa 1,30 m für die Aufstellung auf der Mensa geschaffen,
die sie, hoch aufragend und oben durch einen Giebel abgeschlossen, schmücken. Durch die Anpassung der
Tafelform an die Gestalt des Stipes, die in der Ikonenmalerei als ein Novum begegnet, ist durch die
Franziskaner der Typ des Retabels geschaffen worden, dessen Gestalt nicht anderen Bildgattungen ent-
lehnt wird, sondern durch seine Funktion bestimmt ist. Deshalb ziehen wir statt des von W. Felicetti-
Liebenfels65 gebrauchten Ausdrucks „Vitaikonen“ die den Verwendungszweck berücksichtigende und
darum angemessenere Bezeichnung „Vita-Retabel“ vor.
Die älteste, 1228 datierte Pala in S. Miniato al Tedesco (Abb. 128; Garr. 410) ist uns nur durch die von
Boverio66 publizierte Zeichnung bekannt. Die Komposition mit je drei Szenen zu beiden Seiten, oberhalb
derer zwei Engelfiguren angeordnet sind, ist fast die gleiche wie auf dem ältesten erhaltenen Retabel von
Bonaventura Berlinghieri des Jahres 1235 in S. Francesco zu Pescia (Abb. 130; Garr. 402; 1,60 x 1,23 m).
Sie wird im Prinzip unverändert auch von dem Bilde der Franziskanerkirche in Pisa übernommen
(Abb. 131; Garr. 408; 1,63 x 1,29 m; 1240-50). Durch eine stärkere Betonung der Horizontalen und das
tiefere Ansetzen der Giebelschrägen tritt das Bestreben nach einer zunehmenden Anpassung an die
Verwendung als Altaraufsatz zutage, die übereinstimmend bei dem fast proportionsgleichen Stück aus
S. Francesco in Pistoia (Abb. 132; Garr. 409; 1,62 x 1,36 m; 1265-1275) wieder festgestellt werden kann.
Die Engelhalbfiguren sind hier durch ein zusätzlich auftretendes Szenenpaar ersetzt. Der Wunsch,
möglichst viele Begebenheiten aus dem Leben des hl. Franz zur Darstellung zu bringen, führt bei der
florentinisehen Pala der Bardikapelle in S. Croce (Abb. 133; Garr. 405; 2,34 x 1,27 m; 1250-1260) zur
maßstäblichen Verkleinerung seiner Figur, deren aufs äußerste reduziertes Kompartiment beiderseits
von nicht weniger als sechs Szenenstockwerken flankiert wird. Darüber befinden sich zwei Engelhalb-
figuren, die auf die zum Himmel emporsteigende Seele des hl. Franz hinweisen.
Das auffälligste Faktum an dieser Pala ist jedoch die Einführung von zwei weiteren Reihen mit Szenen,
unterhalb der eben beschriebenen Komposition, die durch ihr kleineres Format, mit einer wohl auf das
obere Schema bezogenen, aber dabei doch eigengesetzlichen Feldereinteilung, deutlich eine gesonderte
Zone bilden und zwischen der Hauptdarstellung und dem Altar vermitteln. Hier liegt eine der Wurzeln
für die bisher kaum untersuchte Entwicklung zur Entstehung der Predella67, deren Klärung nicht von
einem generellen Standpunkt aus erfolgen kann, sondern für jeden Bildtyp gesondert durchgeführt

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