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DAS TOSKANISCHE TAFELBILD

4. DIE ERSTEN TYPEN DER TOSKANISCHEN TAFELMALEREI
Croce dipinta
Der älteste in der Toskana auftretende Typ des beweglichen Bildes ist das Tafelkreuz, dessen Bearbeitung
durch Evelyn Sandberg-Vavalä im Index von E. B. Garrison1 eine sowohl materialmäßige als
gelegentlich auch kritische Ergänzung erfahren hat.
Obwohl es sich bei den croci dipinte nicht um etwas ausschließlich Toskanisches handelt, da die gemalten
Kruzifixe auch sehr zahlreich in Umbrien angefertigt wurden und wenigstens sporadisch in allen anderen
italienischen Schulen, zum Teil sogar schon gleichfalls im 12. Jh. anzutreffen sind, liegen doch die
Schwerpunkte ihrer Entwicklung im toskanischen Bereich.
Die Grundform des Tafelkreuzes ist nach Garrison2 die den plastischen Holzkruzifixen analoge einfache
Kreuzgestalt, wie sie bei dem von ihm in die Diskussion eingeführten campanischen Kreuz aus S. Pietro
in Fondi auftritt (Garr. 451, zweites Viertel 12. Jh.)3.
Das älteste 1138 datierte, in Sarzana auf bewahrte toskanische Beispiel (Abb. 96; Garr. 498) ist dagegen
bereits dem lucchesischen Typ zugehörig, der auf der seitlich erweiterten Fläche des Kreuzstammes
außer den Standfiguren Mariens und des hl. Johannes auch schon seitliche Szenen neben dem Corpus
angeordnet zeigt.
Eine Variation dieser fast ausschließlich in Lucca vertretenen Gattung ist die bloße Kombination
mit Szenen, bei der die Kreuzigungsfiguren - wie bei der Grundform - an den waagrechten Balkenenden
verbleiben (Garr. 522). Eine gewisse Rückentwicklung zu dieser bedeutet der meist mit der nach
1240 vorherrschenden Darstellung Christi als patiens verbundene Verzicht auf die durch eine bloße
Ornamentierung ersetzten Szenen und Kreuzigungsfiguren. Während die ersteren ganz aufgegeben
werden, rücken Maria und Johannes als Halbfiguren wieder an ihren ursprünglichen Platz an die jetzt
erweiterten Enden der waagrechten Kreuzbalken. Fast durch das ganze 13. Jh. hindurch begegnen
jedoch immer wieder Beispiele, bei denen auch die Patiens-Bildform noch zusammen mit Szenen oder
den Kreuzigungsfiguren dargestellt wird. Es sind also die folgenden fünf Grundtypen, in die sich der
Bestand der erhaltenen croci dipinte gliedert4:
1. Christus triumphans, einfache Kreuzform.
2. Christus triumphans mit seitlich neben dem Corpus angefügten Kreuzigungsfiguren (Abb. 94).
3. Christus triumphans mit seitlichen Szenen.
4. Christus triumphans mit Kreuzigungsfiguren und seitlichen Szenen (Lucca; Abb. 95 und 96).
5. Christus patiens, ornamentiertes Grundfeld (Abb. 97ff.).
Wir betrachten nun die Verteilung dieser Typen auf die einzelnen Schulen, die sich nur selten wie die in Lucca
fast ausschließlich einem Typ zuwenden, sondern generell in der bereits angedeuteten Weise mit der
Zuwendung zur Wiedergabe des leidenden Christus auch eine Vereinfachung des Systems vornehmen.
In Lucca, die als einzige unter den italienischen Schulen einen für sie eigentümlichen, sonst fast nirgends
anzutreffenden Typ geschaffen hat, steht das Sarzana-Kreuz von 1138, das ihn bereits voll ausgebildet
vertritt, allein als das einzige erhaltene Beispiel der ersten Jahrhunderthälfte. Die nächstfolgenden
Stücke setzen erst nach 1150 ein und zeigen wie dieses bis in das 8. Jahrzehnt des Dugento den von
Maria und Johannes sowie den seitlichen Szenen flankierten Christus triumphans. Eine Ausnahme
machen lediglich Garr. 476 und 528, auf denen entweder nur Maria mit dem Evangelisten Johannes
oder ausschließlich Szenen neben dem Corpus angeordnet sind. Um 1260 ist in dieser Schule zum ersten
Mal statt des Cristo dominatore die Wiedergabe des leidenden Heilandes festzustellen, die in den Seiten-
feldern zunächst noch mit dem üblichen Lucceser-Programm verbunden bleibt. Die eigentliche Ablösung
des Triumphans-Typus findet jedoch erst am Ende der achtziger Jahre durch Deodato di Orlando
statt. Unter pisanischem Einfluß bringt er durch die Übernahme des ornamentierten Tafelgrundes
die in Lucca nicht über den Anfang des Trecento hinausreichende Entwicklung zum Abschluß.

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