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7. DAS HOCHFORMATIGE MARIENRETABEL
AUF DEM TOSKANISCHEN ALTARE MAGGIORE
Wir kommen jetzt zu dem Bildtyp, der in der Toskana während der zweiten Hälfte des 13. Jhs. die größte
Bedeutung erlangt hat. Von etwa 1260 an ist am Hochaltar ein deutlicher Übergang festzustellen von den
breitformatigen Typen der Antependientradition zu einem Retabel von hochrechteckiger Form, auf dem
meist die Muttergottes als Hodegetria thronend dargestellt ist. Bevor wir uns mit seiner Entwicklung
beschäftigen, wenden wir uns zunächst den kultischen Voraussetzungen sowie der vorangehenden Bild-
tradition zu.
Die Verehrung der Muttergottes im Mittelalter
In diesem Abschnitt kann selbstverständlich keine umfassende Darstellung der Geschichte des italieni-
schen Marienkultes während des Mittelalters erwartet werden, wie sie für Deutschland Beissel1 gegeben
hat, in dessen Untersuchungen auch eine Fülle von für unsere Fragen wichtigen Materials ausgebreitet
ist, auf das wir uns in diesem Abschnitt beziehen können. Es kann uns nur allein darum gehen, auf die
hervorragendsten Träger hinzuweisen und die Momente aufzuzeigen, denen eine Bedeutung bei der Ent-
stehung des hochformatigen Marien-Retabels zuzukommen scheint. Diese sehen wir vor allem in den
neuen Impulsen, welche die Mari en Verehrung während des Mittelalters von verschiedenen Seiten her
erfährt.
Schon seit den Anfängen des Christentums hat die Verehrung der Muttergottes auf Grund ihrer einzig-
artigen Stellung im Heilsgeschehen eine besondere Rolle gespielt2. Als nach der staatlichen Anerkennung
der christlichen Religion durch Konstantin die Einrichtung fester, ausschließlich füi den Gottesdienst
bestimmter Gebäude in Rom möglich wird, erfolgt unter Liberius (352-356) in dichtem zeitlichem Ab-
stand zu den Kirchenstiftungen des Kaisers auf dem Esquilin die Errichtung des Ursprungsbaus von
S. Maria Maggiore. Ob dieser jedoch schon der Muttergottes geweiht war - wie Deichmann annimmt -
muß eine Vermutung bleiben, da wir erst durch die Widmungsinschrift, die Xystus III. am Triumph-
bogen der durch ihn neugebauten Kirche anbringen ließ, von der Weihe an Maria erfahren3.
Ähnlich ist es bei der jenseits des Tibers entweder unter S. Callisto um 217-222 oder durch S. Giulio um
340 erfolgten Gründung der Kirche S. Maria in Travestevere. Erst im 6. Jh. wird uns dieses Gebäude als
Marienkirche bestätigt, das in den Quellen die auf einen frühen Ursprung des Marienpatroziniums weisende
Bezeichnung einer Titelkirche S. Maria führt4.
Im oströmischen Bereich entspricht diesen Bauten die Marienkirche zu Ephesus, in der 431 das Konzil
abgehalten wurde, das die Irrlehren des Nestorius zurückwies, der die Behauptung zu rechtfertigen suchte,
Maria habe nur die menschliche Natur Christi geboren. Dogmengeschichtlich steht die Irrlehre des Nesto-
rius in Zusammenhang mit den schon vorher als Häresie verurteilten christologischen Anschauungen der
Manichäer, Arianer und Apollinaristen. In Ephesus handelte es sich um die Verwerfung einer Sonder-
meinung, die sich in der antiochenischen Schule gebildet hatte und gegen den bereits bei Origines nach-
weisbarem Ausdruck Theotokos gerichtet war5.
Die dogmatische Bestätigung ihrer Würde als Gottesgebärerin durch das Konzil in Ephesus ist der
äußere Anlaß eines ersten Aufschwunges, den die Marienverehrung seit dem 5. Jh. genommen hat
und in Rom in direktem zeitlichem Anschluß an das Konzil zum Neubau der Basilica Liberiana führt.
Zeugnisse für den auch in der Zeit des politischen Niederganges nicht abreißenden Kult sind die
Einrichtung der Diaconia S. Maria Antiqua am Forum und die der Schola Greca von S. Maria in
Cosmedin während des 5. Jhs. sowie die Weihe des Pantheons an die Madonna ad martyres durch
Bonifaz IV. (608-615).
In Konstantinopel werden auf Veranlassung der Kaiserin Pulcheria (f 453) die Blachemen-, die Chalco-
pratien- und die Hodegenkirchen zu Ehren der Muttergottes erbaut6. Wie bereits in den Voruntersuchun-
gen erwähnt, schmückt man unter Bischof Ecclesius (521-534) die Apsis der Kirche von S. Maria Mag-
giore zu Ravenna mit einem Bilde Mariens, dem wenig später, während der Regierungszeit des Bischofs
Eufrasius (535-543), das Mosaik im Dom zu Parenzo folgt. In den östlichen Kreuzkuppelkiichen, deren

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