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Hager, Hellmut
Die Anfänge des italienischen Altarbildes: Untersuchungen zur Entstehungsgeschichte des toskanischen Hochaltarretabels — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 17: München: Schroll, 1962

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https://doi.org/10.11588/diglit.48329#0127
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Typ sich zwischen dem 6. und 9. Jh. herausgebildet hat, ist der Altarraum zugleich auch ein der Marien-
verehrung geweihter Ort, über dem sich als ein fester Bestandteil der mittelbyzantinischen Dekorations-
systeme das Marienbild befindet. Im dritten Kapitel der Voruntersuchungen haben wir beobachtet, wie
in Konstantinopel, das neben seiner Bedeutung als Hauptstadt des östlichen Imperiums auch die Stellung
einer Metropole der Marienverehrung innegehabt hat und in seinen Mauern nicht weniger als 49 Marien-
kirchen barg7, der Kult der Muttergottes von direkter Auswirkung auf das Aufkommen von Tafelikonen
gewesen ist, an deren Spitze das ebenfalls mit dem Namen Pulcherias verbundene Lukasbild der Hodegen-
kirche steht, dessen Nachwirkung im italienischen Bereich ebenfalls bereits Gegenstand unserer Unter-
suchungen gewesen ist.
Der in Rom und Byzanz begonnene Brauch, die Muttergottes als Patronin der Kirche zu erwählen, setzt
sich nördlich der Alpen in der häufigen Weihe der französischen Kathedralen an Maria fort, die ihr zum
Teil schon zur Zeit der Gründung gewidmet gewesen sein sollen8.
In karolingischer Zeit entwickelt sich in Deutschland und Frankreich die Praxis, mit goldenen oder
silbernen Antependien geschmückte Marienaltäre zu verwenden, die mit Widmungsinschriften versehen
waren, in denen man die Fürbitte Mariens erflehte9. In der Stiftskirche zu Essen war die zur Zeit der
Äbtissin Mathilde (973-1011) entstandene goldene Madonna zwischen den Bildwerken der Heiligen
Cosmas und Damian, deren Reliquien die Kirche besaß, auf dem Hochaltar aufgestellt, wo Geschenke
zu ihren Füßen niedergelegt werden konnten10. Ein wichtiger Träger der Marienverehrung ist im frühen
Mittelalter der Benediktinerorden, dessen Stifter von den zwölf in Subiaco gegründeten Klöstern eines
der Muttergottes weihte11. Schon im 6. Jh. beginnend, besonders aber in den beiden darauffolgenden
Jahrhunderten unterstellt der Orden seine großen Abteien dem Schutze der Gottesmutter. In der zweiten
Hälfte des 10. Jhs. tritt die Benediktinerin Roswitha von Gandersheim als Mariendichterin hervor, die in
lateinischen Liedern das Leben der Mutter Christi verherrlicht12. In der von ihr erzählten, schon lange
vorher bekannten Teophiluslegende behandelt sie das Schicksal eines Priesters, der bereits seine Seele
dem Teufel verschrieben hatte und durch die Gnade Mariens Verzeihung erlangte. Die Bedeutung dieses
Epos sieht Beissel in dem Gedanken, daß selbst der größte Sünder durch die Interzession der himmlischen
Mutter noch gerettet werden könne13. Es handelt sich hier um ein Motiv, das in Italien in den seit dem
12. Jh. häufiger werdenden Avvocata-Ikonen seinen bildlichen Ausdruck findet, die, in den lazensischen
Prozessionen am Assuntafest dem Salvator gegenübergestellt, das Symbol dieser Fürbitte sind.
Im 11. Jh. besitzt der Benediktinerorden in dem Mönch Contractus (f 1054) auf der Reichenau wieder
einen führenden Vertreter auf dem Gebiet der marianischen Dichtung. Ihm wird sogar die Autorschaft
am Salve Regina zugeschrieben14. Als besonders eifriger Förderer der Marienverehrung gilt der 1057 zum
Kardinal von Ostia ernannte Abt des Klosters Avellana bei Gubbio, der hl. Kirchenlehrer Petrus Damia-
nus (f 1072), der die Weihe des Samstages an Maria propagiert und zum Beten des marianischen Offi-
ziums aufruft15. Die Marienverehrung nimmt nach Philibert Schmitz eine entscheidende Wende unter
dem Einfluß des hl. Anselm von Canterbury (1033-1109): „War die Gestalt Mariens bis dahin immer von
ernster Würde umkleidet, so findet mit ihm nun das Bild der süßen, lieblichen Jungfrau endgültig Ein-
gang in die Mystik“16.
Ein Beispiel für die praktischen Formen privater Andacht in Klöstern und ihre Beziehung zum Marien-
bilde ist die in Handschriften des 12. Jhs. überlieferte Legende von einer Nonne, die in England oder
Frankreich gelebt haben soll und vor einer Ikone täglich 150 Ave Maria zu beten pflegte. Da sie wegen
starker zeitlicher Inanspruchnahme hierbei oft eilig verfuhr, befahl ihr die Muttergottes in einer Erschei-
nung, sich mit 50 Gebeten zu begnügen, aber dafür mehr Andacht walten zu lassen17.
Einen neuen Aufschwung erlebte die mittelalterliche Marienverehrung durch die Tätigkeit der Reform-
orden18. Die Grundlage bilden die Cluniazenser, deren Bedeutung für den westlichen Marienkult Schreiber
mit Byzanz vergleicht19. Die Fortdauer des von ihrer Form der Marienverehrung ausgehenden Einflusses
erstreckt sich nach Schreiber über die Zisterzienser und Prämonstratenser bis zu den Karmelitern und
Dominikanern. Unter Abt Odo (f 942), der die Anrufungen Mariens um den Titel „Mutter der Barm-
herzigkeit“ vermehrt, wird das marianische Sonntagsofficium eingeführt.
Das gleichzeitig als Krankenkapelle dienende Marienoratorium des Ordens tritt in Cluny II und in den
Hirsauer Klöstern in Zusammenhang mit dem Kapitelsaal und der Infermerie auf20. Diesem Vorbild
folgen die Zisterzienser, die hier die Tageszeiten zu Ehren der Muttergottes beten, deren Verrichtung der
Orden 1194 als Verpflichtung übernimmt21. Die 1098 von Robert de la Champagne gegründete Reform-

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