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Hager, Hellmut
Die Anfänge des italienischen Altarbildes: Untersuchungen zur Entstehungsgeschichte des toskanischen Hochaltarretabels — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 17: München: Schroll, 1962

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https://doi.org/10.11588/diglit.48329#0128
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genossenschaft weiht fast sämtliche Kirchen der in den Himmel aufgenommenen Muttergottes22. Eine
wichtige Vorstufe für die Entstehung des Marien-Hochaltarretabels ist die in diesen Kirchen übliche
Widmung des Hochaltars an Maria23. Eine Darstellung der stehenden Maria Regina, die die Äbte und
Äbtissinnen des Ordens unter ihrem Schutzmantel vereint zeigte, war das Wahrzeichen des Klosters in
Citeaux, wo ebenso wie in allen anderen Zisterzienserkirchen seit 1220 an jedem Sonntag die Messe Unserer
Lieben Frau gesungen, und tätlich ein Meßopfer zu ihrer Verherrlichung gefeiert wird24.
Der Hauptexponent des Ordens in bezug auf die Verehrung der Muttergottes ist der hl. Bernhard von
Clairvaux (1091-1153), der, wie Roschini hervorhebt, als erster das Problem der Gnadenmittlerschaft
Mariae umfassend behandelt. Dieser Frage ist sein Traktat „De aquaeductu“ gewidmet, in dem er die
Lehre von einer allgemeinen, d. h. durch die göttliche Mutterschaft bedingte Gnadenvermittlung dar-
legt25.
Von anhaltender Wirkung in der Entwicklung der Marienverehrung ist unter anderem der aus der Lehre
der geistlichen Mutterschaft in bezug auf alle Erlösten gefolgerte, die emotional bestimmte Andacht
fördernde und darum besonders den hl. Franz bewegende Gedanke, daß Christus, indem er unser Fleisch
angenommen hat, auch zu unserem Bruder geworden ist26.
Beissel zitiert mehrere Legenden, die den hl. Bernhard in einem engen Verhältnis zu Marienbildern zeigen,
jedoch erst wesentlich später nachweisbar sind27. Die vom Orden mit besonderem Eifer betriebene Pflege
der Verehrung der himmlischen Mutter mußte es nahelegen, ihr Bild auch auf Hauptaltären zu verwen-
den. Hierfür kommen jedoch weniger Tafelikonen und noch weniger „Retabel“ in Frage als die zahlreich
erhaltenen, häufig mit goldenem oder silbervergoldetem Blech verkleidet gewesenen Holzstatuen. Ein
solches Bildwerk scheint nach den äußeren Umständen der Kern der Legende zu sein, die Cäsarius von
Heisterbach aus dem 1216 bei Groningen, in der Umgebung von Courtrai, gegründeten Zisterzienserinnen-
kloster überliefert. Als während des Hochamtes das Credo gesungen wurde und man an die Stelle kam
„Et incamatus est de Spiritu sancto ex Maria Vergine et homo factus est“, sah man, wie das Jesuskind
seiner Mutter die Krone wieder aufs Haupt setzte, die es ihr zu Beginn des Gottesdienstes abgenommen
hatte28. Diese Legende ist ein gutes Beispiel nicht nur für die praktischen Formen des Bildergebrauchs,
der hier einer Skulptur den Platz am Hochaltar erschließt, sondern ebenso auch für die Wirkung, die von
der Aufstellung eines Andachtsbildes an dieser Stelle ausgeht und sich auf eine gefühlsmäßige Beteiligung
an den liturgischen Vorgängen erstreckt.
Bei dem 1119 vom hl. Norbert gestifteten Prämonstratenserorden, dessen Gründung die legendäre Über-
lieferung mit einer Erscheinung Mariens verbindet, werden ebenfalls alle Kirchen der Muttergottes als
Schirmherrin geweiht. Seit 1256 betet man das Ave Maria vor den Tageszeiten des kanonischen und
marianischen Officiums29.
Die, was die Marienverehrung angeht, in diesem Orden dem hl. Bernhard entsprechende, aber sehr viel
schlichtere Persönlichkeit ist der selige Hermann Josef (f nach 1230), von dessen Begegnung mit hölzer-
nen Marienstatuen zwei Legenden aus der Jugendgeschichte berichten. In der Kirche S. Maria im
Capitol zu Köln nahm die Figur der thronenden Muttergottes einen Apfel in Empfang, den er ihrem
Kinde angeboten hatte. Der offensichtliche Anreger zu dieser Erzählung ist der Typ der holzgeschnitzten
Sedes Sapientiae-Figuren, bei denen Maria als „zweite Eva“ einen Apfel in der rechten Hand hält. Bei
einer anderen Gelegenheit forderte die Muttergottes den Heiligen auf, an einem Spiel des Jesusknaben
mit dem hl. Johannes teilzunehmen30.
Einen weiteren Auftrieb erfährt der Kult Mariens durch die zur Zeit der Kreuzzüge entstehenden geist-
lichen Ritterorden, die, den weltlichen Minnedienst auf die Person der Muttergottes übertragend, sie zur
Schutzherrin im Kampf gegen die Ungläubigen erwählten und ihr zu Ehren Andachten abhielten. Ein der
Muttergottes geweihter Orden, der auch ihren Namen im Titel führt, ist der „Marianische Deutsche
Orden des Hospitals in Jerusalem“31. Mit ihm wurde 123 732 der 1204 vom Bischof von Riga gestiftete
„Orden der Schwertträger“ vereinigt.
Der Deutsche Orden ist der Urheber eines der gewaltigsten Marienbilder, das die Kunstgeschichte kennt.
Es handelt sich um das berühmte 61/2 m hohe, mit musivischen Einlegearbeiten versehene, in Hochrelief
gefertigte Standbild in der Marienburg bei Danzig, das sich in einer goldgrundigen Nische befindet, die
an der Außenseite der Schloßkapelle durch das Gewände des mittleren Chorfensters gebildet wird33.
Um 1340 entstanden, bedeutet es eine letztmögliche Steigerung der Idee des Marien-Hochaltarbildes.
Nunmehr mit der Gebetsrichtung des Zelebranten übereinstimmend, wendet es sich nicht mehr an die in

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