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Hager, Hellmut
Die Anfänge des italienischen Altarbildes: Untersuchungen zur Entstehungsgeschichte des toskanischen Hochaltarretabels — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 17: München: Schroll, 1962

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https://doi.org/10.11588/diglit.48329#0130
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Eine eigentümliche Form findet die Verehrung der himmlischen Mutter und ihres Sohnes durch den
hl. Franz in der die Krippenbewegung antizipierenden Weihnachtsfeier von Greccio, bei der er im Streben
nach möglichst bildhaft plastischer Vergegenwärtigung des im Evangelium überlieferten Ereignisses, mit
päpstlicher Genehmigung Ochs und Esel an eine Krippe heranführen ließ, über der ein Meßopfer gefeiert
wurde, an dem der Heilige in der Funktion eines Diakons teilnahm. Diese einen erlebnismäßigen Nach-
vollzug ermöglichende und darum in ihrer Wirkung das Volk unmittelbar ansprechende Feier hat 1223
in einem Wald in der Nähe von Assisi stattgefunden46.
Ein dem Portiunkula-Ablaß verwandtes, aber in seinem Umfang beschränkteres Privileg gewährt Papst
Alexander im Jahre 1260, durch das er für den Besuch der Ordenskirchen an den Marienfesten sowie am
Tage des hl. Franz einen Nachlaß von 100 Tagen zusichert. Dieselbe Vergünstigung erhalten durch
Clemens IV. seit 1265 alle Besucher franziskanischer Kirchen an den Kirchweihfesten sowie an den Tagen
der Ordensheiligen Franz, Antonius und Klara47.
In dem Streit um die Unbefleckte Empfängnis vertreten die Franziskaner gegen die Dominikaner die erst
1854 zum Dogma eihobene Auffassung, daß Maria von der Erbsünde unberührt geblieben ist48. Auf dem
Generalkapitel zu Pisa (1263) führen die Franziskaner das entsprechende, in England schon im 11. und
12. Jh. geforderte, zunächst aber nur als festum conceptionis bezeichnete Marienfest ein, das die Domini-
kaner für die römische Obödienz 1394 und für den gesamten Orden sogar erst 1491 annehmen49.
Das gleiche Kapitel beschließt ferner, auf Veranlassung Bonaventuras, die Aufnahme des Festes Mariae
Heimsuchung, das durch die Franziskaner 1389 zu offizieller Anerkennung gelangt ist50. Auf denselben
Heiligen geht die von ihm als Ordensgeneral 1269 erlassene und durch die spätere allgemeine Verbreitung
bedeutungsvolle Verfügung zurück, die bestimmte, daß allabendlich von jeder Franziskanerkirche die
Glocke zum Gruße der Muttergottes geläutet werden solle51.
In ähnlicher Richtung wie die Anschauungen des hl. Albertus Magnus zur Frage der Gnadenmittlerschaft
Mariens bewegen sich nach den Untersuchungen Plessers52 die Gedankengänge des hl. Bonaventura, der
als Mariologe in seinem Orden die bedeutungsmäßig entsprechende Stelle bekleidet. Auch für Bonaven-
tura ist Maria Mittlerin aller Gnaden, insofern sie den Erlöser geboren hat. Wie der Dominikaner Albertus
Magnus legt er einen starken Akzent auf die über das bloße Mitleid hinausgehende, von ihm als Mit-
opfer aufgefaßte compassio unter dem Kreuz, durch die die mit dem Opfertod Christi erwirkten Gnaden
von ihr mitverdient werden53. Ebenso wie bei Albertus wird die Muttergottes aber nicht als die aus-
schließliche Mittlerin verstanden.
Im stabat mater Jacopones wird das die zeitgenössische Theologie beschäftigende Problem des Mit-
leidens Mariae in einer durch die Dichtkunst bearbeiteten Form dem Volke nahegebracht, das zum Mit-
fühlen ihrer Schmerzen gewonnen werden soll. Mit der Bedeutung dieser Gedanken für die Tafelmalerei
befassen wir uns im letzten Abschnitt dieser Arbeit, in dem wir den liturgischen Bestimmungszweck der
Bildausstattung des Hochaltars vom Gesichtspunkt des sie tragenden theologischen Fundaments betrach-
ten wollen. Bevor wir uns dem zweiten Haupttyp des toskanischen Marien-Retabels zuwenden, das nach
1260 sich als fast ausschließlicher Altaraufsätz des altare maggiore durchzusetzen vermag, wollen wir
jedoch schon jetzt, um einer im marianistischen Sinne möglichen Fehlbeurteilung dieser Entwicklung
vorzubeugen, darauf hin weisen, daß die Stellung Marias von den beiden hervorragendsten Mariologen
des 13. Jhs. nie anders als in Abhängigkeit von ihrem Sohne betrachtet wird.
Zu den mittelalterlichen Gemeinschaften, die sich mit besonderer Liebe dem Kult der Gottesmutter
widmen, gehört auch der Karmeliterorden. Sein Gründer ist der Kreuzfahrer Bertold von Calabrien, der
sich in der zweiten Hälfte des 12. Jhs. mit zehn Gefährten bei der Höhle des Elias im Carmelgebirge
niederließ. Die dort entstehende Einsiedlergenossenschaft erhielt eine 1208 vom Patriarchen von Jeru-
salem gewährte und 1226 durch Honorius bestätigte Regel, nach der die von einem Prior geleiteten Mön-
che in Einzelzellen lebten54. Die Kirchen des Ordens waren der Muttergottes geweiht. Ein besonders
verehrtes Marienbild bringen die Karmeliter mit nach Rom, die Anfang des 13. Jhs. vor den Bedräng-
nissen durch die arabischen Stämme aus Palästina geflüchtet waren55. Um 1240 zieht sich der Orden aus
dem hl. Lande zurück und verbreitet sich unter Simon Stock (f 1265) in Mittel- und Westeuropa. Wie
bei den Stiftern der Bettelorden wird auch von ihm eine Erscheinung der Muttergottes überliefert. In
Parallele zum Portiunkula-Ablaß soll sie dem Erneuerer der Gemeinschaft zugesichert haben, daß alle
die ihr zu Ehren und in entsprechender Gesinnung das Skapulier trügen, vor der ewigen Verdammnis
bewahrt bleiben sollten56.

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