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Hager, Hellmut
Die Anfänge des italienischen Altarbildes: Untersuchungen zur Entstehungsgeschichte des toskanischen Hochaltarretabels — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 17: München: Schroll, 1962

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https://doi.org/10.11588/diglit.48329#0131
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1245 erteilt Innozenz IV. den Karmelitern die Privilegien der Bettelorden. Zwei Jahre später folgt die
Verleihung des Titels „Ordo Beate Marie Virginis de Monte Carmelo57, der den Charakter ihrer Genossen-
schaft als marianische Vereinigung anerkennt.
Ein deutliches Symptom für die in der Toskana in der ersten Hälfte des 13. Jhs. in ständigem Anstieg
befindliche Mariendevotion ist die hier bedeutungsmäßig nur mit den Franziskanern und Dominikanern
zu vergleichende Gemeinschaft der Serviten, die aus einer Laudesibruderschaft hervorgegangen ist58.
Wiederum durch eine Erscheinung Mariens werden die Stifter, sieben reiche Kaufleute aus Florenz, dazu
bestimmt, 1233 ihren Besitztümern zu entsagen und einen Orden zu den sieben Schmerzen der aller-
seligsten Jungfrau zu gründen59. Sie lassen sich auf dem Monte Senario nieder und beginnen, ähnlich wie
im vorangehenden Jahrhundert die Gründer des Karmeliterordens, ein Einsiedler- und Bußleben zu
führen. Der Übernahme der Augustinerregel (1239) folgt 1255 die päpstliche Bestätigung des Ordens,
dessen besonderes Verhältnis zu Mariendarstellungen bereits aus den Statuten von 1233 erhellt, die
bestimmen, daß in jeder Kirche ein Bild der Muttergottes vorhanden sein müsse60. Ob hierbei an Marien-
darstellungen in Form von Freskodekorationen oder mehr an Tafelikonen gedacht war, ist nicht gesagt,
doch liegt es nahe, eher das Letztere zu vermuten, da der Servitenorden als Auftraggeber, wie wir bei
der Betrachtung des Denkmälerbestandes sehen werden, an der Entstehung des hochformatigen Marien-
Retabels einen maßgeblichen Anteil nimmt.
Die Serviten scheinen sich sehr schnell in der südlichen Toskana verbreitet zu haben. 1243 wird eine
Niederlassung in Siena und Pistoia gegründet, der ein Jahr später die in Arezzo folgt61. 1250 gestattet
man ihnen in Florenz an Stelle der jetzigen SS. Annunziata eine kleine Kirche zu errichten, die gegen 1252
nahezu fertiggestellt war62.
An die byzantinischen und römischen Achiropoitenlegenden, insbesondere die der lateranensischen
Salvatorikone, erinnert die Überlieferung, daß in dem von Meister Bartholomäus begonnenen Ver-
kündigungsfresko ein Engel den noch fehlenden Kopf Mariens hinzugemalt habe63. Das jetzt in der Kirche
verehrte und durch den Michelozzobaldachin von 1448 ausgezeichnete Gnadenbild ist nach Angaben von
Paatz64 um die Mitte des 14. Jhs. unter „tunlichster Berücksichtigung“ des Dugentofreskos auf dem
noch ursprünglichen Mauerrest entstanden.
Der Besitz des „nicht von Menschenhand“ vollendeten Bildes verhilft der Servitenniederlassung zu einem
schnellen Aufstieg. Schon 1254 beginnt man mit der Erweiterung der Kirche65. Sie scheint 1262 zu einem
gewissen Abschluß gekommen zu sein, während sich die Arbeiten an der Ausstattung noch bis zum
Trecento hinzogen. Die Blüte des Klosters hält weiterhin an, da es den Serviten gelingt, sich eine feste
Position im religiösen Leben von Florenz zu verschaffen. Noch im Trecento wird ein Neubau begonnen,
den nach 1444 Michelozzo und Alberti mitverwerten. Wie die anderen Bettelorden unterhalten auch die
Serviten eine Tertiariergenossenschaft, die jedoch erst verhältnismäßig spät durch Giuliano Falconieri
(um 1270-1341) ins Leben gerufen wird66.
Die aus einem privaten Zusammenschluß hervorgegangene Gemeinschaft der Diener Mariens lenkt
unsere Betrachtungen von der Kultbetätigung in den Orden zu der, die sich im allgemeinen kirchlichen
und bürgerlichen Bereich vollzieht. Wir erinnern uns an dieser Stelle, daß der Tolerierung der Tafel-
ikone durch die Kirche und ihrem Eindringen in den Sakralraum während des 6. und 7. Jhs. bereits die
Praxis des privaten Andachtsbildes vorangegangen ist. Als Gegenstand privater Mariendevotion gelangt
das Lukasbild nach Konstantinopel, das im Hodegenkloster in den Mittelpunkt der öffentlichen Verehrung
gestellt wird. Zeugnisse für das starke Vertrauen der Allgemeinheit auf den Schutz der Muttergottes sind
die in Byzanz und Rom veranstalteten Umzüge, bei denen man ihre Hilfe erfleht. Die Prozessionen stellen
eine der Hauptformen dar, in denen sich die öffentliche Verehrung vollzieht. In Italien sind sie darum auch
keineswegs nur auf die römischen und lazensischen Assuntaprozessionen beschränkt. Einen feierlichen
Umzug, der unter Mitführung einer halbfigurigen Ikone der Hodegetria an verschiedenen Feiertagen,
besonders aber am Feste der hl. Thekla und zu Maria Lichtmeß veranstaltet wurde, überliefert das Relief
des 12. Jhs. von S. Maria a Bertrade in Mailand (Abb. 43)67.
Ebenso wie die Reliquien von Heiligen können sich die Marienikonen, denen wir so oft in direkter Ver-
bindung mit diesen begegnet sind, zum Anziehungspunkt von Wallfahrtsorten entwickeln. In Nocera
Superiore bei Salerno ist eine um die Mitte des 11. Jhs. der Legende nach auf wunderbare Weise unter
Mitwirkung der Muttergottes gefundene Ikone der Anlaß für einen starken Zustrom von Pilgern, der
bereits für das 12. Jh. nachgewiesen werden kann68. Wie bei ähnlichen römischen Beispielen ist das von

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