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der örtlichen Tradition mit der überlieferten Tafel identifizierte Nachfolgebild ein Werk des 13. Jhs.
(Garr. 97; 0,95 x 0,80 m; zweite Hälfte 13. Jh.).
In Pisa ist der 1063 begonnene Neubau des schon im 9. Jh. der Muttergottes geweiht gewesenen Domes69
das Zeichen einer starken, von der Gesamtheit der Stadtgemeinschaft getragenen Marienverehrung, eben-
so wie die zahlreichen von uns bereits behandelten halbfigurigen Marien-Ikonen. In ähnlicher Weise wie
in Byzanz, wo Bilder bei der Abwehr von Belagerungen oder im Kampfe eine Rolle spielen, vertraut man
in Pisa sein Heil der Gottesmutter an, indem man ihr Bild sowie Darstellungen von anderen Heiligen an
den Stadttoren anbringen läßt70. Diese Maßnahme dürfte ungefähr mit dem Auftreten der ersten tos-
kanischen Tafelikonen zusammenfallen, da 1275 von der Comune Geld bewilligt wird, um die fast
zerstörten Fresken zu erneuern. Am Assuntafest ist die offerta del cero das symbolische Zeichen für die
Darbietung der Stadt an die Himmelskönigin71.
In Siena veranlaßt der von den Ventiquattro gewählte Generalbevollmächtigte Bonaguida Lucai in der
Not der florentinischen Belagerung von 1260 die auf der Piazza di S. Cristofano versammelte Gemein-
schaft, sich dem Schutze der Muttergottes anzuvertrauen und ihr die Stadt zu weihen72. Wie eine Mon-
stranz trug man ihr Bild unter einem Baldachin in der Prozession, die zum Dom zog, um dort das schon
erwähnte Gelübde vor der sogenannten „Madonna dagli occhi grossi“ (Abb. 144) abzulegen73, dessen
kultische Nachwirkungen bis in die Gegenwart reichen. Seine Bedeutung für die Entstehung des Hoch-
altarretabels wird uns im folgenden Abschnitt dieser Arbeit noch beschäftigen. Ein ganz besonderer
Ausdruck für die öffentliche Grundlage der mit diesem Gelübde zu einem ersten Höhepunkt in der
Toskana kommenden Marienverehrung war der eigentümliche, schon im Dugento in Siena bestehende
Brauch, bei den am Vorabend des Oster- oder Pfingstfestes vollzogenen Taufakten dem ersten Mädchen
den Namen Maria zu geben, während der erste Junge den Namen Johannes und der nächstfolgende den
des hl. Michael erhielt74.
In Florenz liegen die Anfänge eines intensivierten Marienkultes im zweiten Viertel des 13. Jhs. Neben der
Gründung des Servitenordens, der hierfür das hervorragendste Beispiel ist, beginnen in dieser Zeit die
meist aus Privatleuten sich zusammensetzenden und von den Bettelorden unterhaltenen Genossen-
schaften, für die wir die uns erhaltenen Nachrichten Davidsohn entnehmen75.
Im Jahre 1244 wird die Compagnia maggiore della Vergine Maria vom hl. Petrus Martyr gegründet76,
die 1245 unter dem Namen Societas Fidei privilegiert wird. Ihr Ziel, das jedoch schon bald hinter carita-
tiven Bestrebungen zurücktritt, ist zunächst die Bekämpfung der Häresie. Die Genossenschaft hat ihren
Sitz im Spedale del Bigallo. Eine dominikanische Tertiarierinnengenossenschaft, deren Mitglieder in
klösterlicher Gemeinschaft lebten, sind die „Dominae de penitentia platee S. Maria Novelle“, welche
1244 vor der Porta S. Frediano ein Gelände erhalten77. Um 1244 erfolgt die Gründung der Societas S. Maria
Virginis S. Marie Novelle, die in der Kunstgeschichte als Bestellerin der sogenannten „Rucellai-Madonna“
bekannt geworden ist. Es handelt sich um eine von Dominikanern geleitete Laudengenossenschaft,
die laut einer Urkunde des Jahres 1304 an jedem zweiten Samstag im Monat zusammenkamen, um die
Muttergottes durch Lobgesänge zu ehren. Wie ein moderner Verein verfügte sie über einen Kreis von
passiven Mitgliedern. 1288 werden allen, insbesondere aber den Laudensängern selbst, Ablässe erteilt78.
Die ihr bei den Serviten entsprechende Organisation, die „Societas laudum ecclesie S. Marie conv.
Florentini“, hatte schon 1273 auf dem in Arezzo abgehaltenen Generalkapitel vom Ordensgeneral der
Diener Mariens ein ähnliches Gnadenprivileg empfangen79. Die Statuten der „Compagnia S. Maria del
Carmine“ datieren aus dem Jahre 1280. Für die Fassade der Carminekirche wird oberhalb des Portals
(neben dem eine Gruft für die Mitglieder geplant war) ein nicht zur Ausführung gekommenes Bild
bestellt, das die Madonna mit ihrer Mutter Anna und die hl. Agnes wiedergeben sollte. Vielleicht als
Ersatz hierfür, läßt man über der Bruderschaftsgruft 1285 eine Darstellung Mariens mit knieenden
Stifterfiguren anfertigen80.
In das Jahr 1281 fällt der Ursprung einer weiteren in Florenz gegründeten Laudengenossenschaft.
Es ist die uns schon bekannte „Compagnia S. Maria di S. Reparata“, die später hauptsächlich
unter dem Namen „Compagnia di S. Zanobi“ figuriert. 1335 ist von ihrem nur am Feste der Ver-
kündigung mitgeführten Marienbanner die Rede, das für gewöhnlich in einem hölzernen Tabernakel
des Mittelschiffs der Reparatakirche, am pilastro di S. Bartolomeo, auf bewahrt wird. Für uns ist es
insofern von gewissem Interesse, als man es auch als Retabel verwendet, was am Samstagabend nach
den Landen oder in der Frühe des Sonntages geschieht. In feierlicher Form, mit angezündeten Kerzen

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