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Hampe, Roland; Gropengiesser, Hildegund
Aus der Sammlung des Archaeologischen Institutes der Universitaet Heidelberg — Berlin [u.a.], 1967

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.26498#0020
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Kykladen-Idol

Marmor von den Kykladen war seit der archaischen Zeit das vornehmste Steinmaterial grie-
chischer Bildhauer. Aber bereits viel früher, noch im 3. Jahrtausend sind auf den Kykladen
aus diesem Marmor plastische Gebilde von zum Teil hohem künstlerischem Rang geschaffen
worden, die sogenannten Kykladen-Idole.

Diese Idole sind teils männliche, überwiegend aber nackte weibliche Figuren. Sie wurden
den Toten in die Gräber mitgegeben. Ihre Größe erreicht in einzelnen Fällen monumentales
Format (1,50 m und höher); die meisten aber sind von kleinerem Maßstab wie unser Beispiel.
Nur der obere Teil von 17,8 cm Höhe ist erhalten. Der Kopf auf hohem Flalse ist leicht zu-
rückgeneigt. Die Geste der verschränkten Arme zeigt Verhaltenheit und Sammlung. Die
Brüste sind jugendlich und zart. Unter den Hüften haben wir die Beine zu ergänzen, geschlos-
sen und in den Knien leicht vebo^en, sowie die Füße, gleichsam schwebend, ohne Stand-
fläche. Die weibliche Scham war, wie andere Beispiele lehren, wohl nur angedeutet.

Die Statuetten konnten nicht stehen, waren keine > Standbilder<. Bildwerke von religiöser
Bedeutung - und um solche muß es sich hier handeln - werden seit je von den Gläubigen
mehr vom Magischen als vom Künstlerischen her bewertet. Sie werden mit den Händen be-
tastet, mit den Lippen geküßt, um durch Berührung ihrer Kraft und ihres Segens teilhaftig
zu werden. Aber solch magisches Berühren kann auch einem ungeformten Fetisch gelten, es
vermag die besondere Gestaltung dieser künstlerischen Gebilde allein nicht zu erklären. Bei
den Kykladen-Idolen ist ein Formwille wirksam, der vermutlich in einer religiösen Vorstel-
lung wurzelt.

Außer den plastischen Formen, die eigentlich für den Tastsinn bestimmt sind, gab es an die-
sen Idolen Dinge, die nur dem Auge erkennbar waren. Die Figur trug offenbar eine durch
Farbe hervorgehobene Kopfbedeckung, vergleichbar dem Polos, der > Götterkrone<, wie sie
in späterer Zeit Götter, dämonische Wesen und Priester tragen konnten. Augen, Ohren und
Mund, bei manchen Idolen plastisch angegeben, mögen bei unserer Statuette gemalt gewesen
sein.

Es gibt in der Kykladenkunst verschiedene Werkstätten und unterschiedliche Qualitäten.
Unser Beispiel gehört zu einer Gruppe von Idolen, die sich durch künstlerische Feinheit aus-
zeichnen. Solche Kunstwerke mögen den anderen, mehr handwerklichen die Richtung ge-
wiesen haben.

Diese Plastiken, die für den heutigen Betrachter > abstrakt < wirken, waren in ihrer Zeit unge-
mein konkret. Aus der Welt amorpher Gottesvorstellungen, anikonischer oder halbikoni-
scher Idole führten sie bahnbrechend heraus zur festumgrenzten, plastischen Gestalt von
menschlichen Formen. Gewiß waren hier nicht Sterbliche gemeint, sondern Götter oder doch
halbo-öttliche Wesen. Daß man sie sich in menschlicher Gestalt und damit dem Menschen zu-

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geordnet dachte, ist eine geistige Leistung, die Herodot dem Homer zuschrieb, die aber auf
den Kykladen schon eineinhalb Jahrtausende früher ihre Vorläufer und vielleicht auch ihre
Wurzeln hatte.

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