Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Hartlaub, Gustav Friedrich; Münter, Gabriele [Hrsg.]
Gabriele Münter, Menschenbilder in Zeichnungen: 20 Lichtdrucktafeln — Berlin, 1952

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.20706#0034
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ähnlich. Damit verzichtet man aber von vornherein auf Portrait, auf Aussage
über Wirklichkeit und malt ein Figurenbild, frei, wie es einem künstlerisch paßt.

Man kann ein Portrait auch zu ähnlich machen wollen, ähnlicher, als der
Mensch in der Natur erscheint! Da werden einzelne Merkmale herausgehoben
und übertrieben. Es entsteht ein schiefes, ungerechtes Bild von der Persönlichkeit,
ein Zerrbild. Ohne Respekt vor dem Menschen ist kein wahres Bildnis möglich.
Man muß Teilnahme und Verständnis haben, um einem Menschen gerecht zu
werden. Nur wer etwas Herzlichkeit mitbringt und bescheiden in den anderen
sich versenkt, hat Aussicht auf Gelingen. Sind die Menschen innerlich oder
äußerlich etwa verkonstruiert, so gilt es, sie um so behutsamer zu fassen — ohne
sie darum zu verschönern. Manchmal hilft Humor.

Die Aufgabe der Darstellung des Menschen ist so bedeutend, daß ich mich nie
versucht gefühlt habe, darüber hinaus zu gehen, die menschliche Erscheinung
etwa aufzulösen, in eigenwillige Konstruktion aufzunehmen oder ganz zu ver-
werfen und durch gegenstandslose Gebilde zu ersetzen. Mag man glauben, auf
diese Weise das Geistige an sich zu fassen, gewissermaßen die Aura des Menschen
darzustellen, ein Gleichnis, ein Sinnbild zu schaffen, so ist doch die körperliche
Erscheinung des Menschen, namentlich das Gesicht selber schon Sinnbild. Denn
die Persönlichkeit wurzelt im Geistigen und wirkt aus dem Unsichtbaren heraus.
Für dies Unsichtbare, worauf es ankommt, ist das sichtbar Körperliche das natür-
liche Symbol.

Ich habe auch die Aufgabe niemals darin gesehen, „den Menschen unserer
Zeit“ zu malen. Nirgends habe ich jemand gefunden, der mir als Typus des
Heutigen gegolten hätte. Und es ist unmöglich, einen zu konstruieren. Denn es
fehlt die Einheitlichkeit der geistigen Haltung und der Ausbildung eines form-
vollen Sich-Gebens. Ich denke nicht daran, die Masse der je und je Gesunden,
Irdischen, Tüchtigen, Zukunftsgewissen und die Nervösen, Zerfaserten und
Haltlosen, sowie die trotz den Katastrophenzeiten harmlosen und frohen
Gemüter und die echten Geistigen, die auch heute noch frei und ausgeglichen
sind, einem Vorurteil zuliebe alle gleich zu frisieren.

Das Portrait in unserer Zeit hat es mit den Individuen zu tun. Jedem das
Seine! Das sei eine zu geringfügige Aufgabe, ein bloßes Abbild-Machen? An
den Photographien erkennt man, wie oberflächlich, ja manchmal auch falsch der
Augenschein sein kann. Das treffende Symbol muß aus den wechselnden An-
sichten, dem flüchtig zufälligen Ausdruck erst entdeckt werden. Dann warten
die Bildgesetze darauf, das Objektive in sich aufzunehmen und zu gestalten. Und
schließlich stellt der einzelne Künstler seine mehr oder weniger bewußten Wünsche
an die Bildform. So wächst das Portraitieren in die größten Schwierigkeiten hinein.

Ich habe mich am Portrait oft versucht, aber ich muß gestehen, daß mir nicht
viele Bildnisse wirklich gelungen sind. ’Mal entsteht ein gutes Bild, aber kein
richtiges Portrait; ’mal entsteht ein richtiges Portrait, aber kein erwünschtes Bild.
Oft bin ich in den Vorhöfen der Kunst stecken geblieben. Es gibt Fälle, wo die
 
Annotationen