Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Hartlaub, Gustav Friedrich; Münter, Gabriele [Hrsg.]
Gabriele Münter, Menschenbilder in Zeichnungen: 20 Lichtdrucktafeln — Berlin, 1952

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.20706#0035
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Aufgabe unlösbar ist, das Gegebene, das Aufgegebene mit den künstlerischen
Forderungen, mit der subjektiven Einstellung in Einklang zu bringen. Man darf
daher nicht jeden beliebigen Portraitauftrag annehmen. Ein Portrait glückt bloß
dann, wenn es sich sozusagen von selbst malt. Aber der Gefahren wegen die
Aufgabe überhaupt fallen zu lassen, ist zu bequem. Bildnismalen ist die kühnste
und schwerste, die geistigste, die äußerste Aufgabe für den Künstler. Uber das
Portrait hinaus zu kommen, kann nur der fordern, der noch nicht bis zu ihm
vorgedrungen ist.

Die Aufgabe ist für den Zeichner nicht ganz so schwer wie für den Maler. Ist
doch die Zeichnung an sich schon deutlicher Verwandlung der Wirklichkeit. Sie
hebt das Wesentliche freier aus der Masse der Eindrücke ab und stellt es schärfer
hin, kurz, sie ist abstrakter in der Aussage.

Ich bin von Kindheit auf so ans Zeichnen gewöhnt, daß ich später, als ich
zum Malen kam — es war in meinen zwanziger Jahren —, den Eindruck
hatte, es sei mir angeboren, während ich das Malen erst lernen mußte. Für’s
Malen hatte ich in Kandinsky, der 1902 mein Lehrer wurde, große Maßstäbe
vor mir, und schließlich bin ich dazu herangewachsen, die Farbe auch so selbst-
verständlich und unangestrengt zu beherrschen wie die Linie. Was ich im Zeichnen
vermochte, darauf bildete ich mir gar nichts ein, weil ich es mühelos tat. Einmal
aber stieß mich ein Vergleich darauf. Ich ging vor genau 50 Jahren, in meinem
ersten Studienjahr, mit einer Kollegin aus der Schule des Münchner Künst-
lerinnenvereins auf Motivsuche hinaus, und wir sahen am Nymphenburger Kanal
unten am Wasser eine Frau knien und Wäsche spülen. Das mußte natürlich ge-
zeichnet werden. Die andere tastete mit dem Stift vorsichtig auf dem Blatt herum,
versuchte den Umriß mit vielen kleinen Strichen, radierte das meiste wieder
aus, und das Resultat war flau und ungefähr. Das verfolgte ich mit Verwun-
derung. Dann zog ich auf meinem Blatt ein paar Striche, und die Sache saß und
war fertig. djKM)

Berufene haben frühzeitig meinen^SffMi geschätzt. Als ich in Paris ein paar
Wochen in der „Grande Chaumiere“ arbeitete, sah T. A. Steinlen, der viel-
genannte Graphiker und Meister, mein Skizzenbuch aufmerksam durch und sagte
dann: „Avec ce dessin vous pouvez arriver ä des choses tres elevees.“

Zeichnen ist mir eine Lust geblieben und nicht deshalb geringfügig geworden,
weil die Farbenwelt noch bezaubernder ist.

Es war eine große Zeit der künstlerischen Erneuerung, als ich 1901 nach
München zum Studium kam. Der Jugendstil begann, in seiner Art den alten
Naturalismus zu stürzen und die reine Linie zu pflegen. Doch unmittelbar konnte
meine schon mitgebrachte Neigung, die Wirklichkeit mit sparsamem Abriß, im
Umriß der Dinge zu fassen, noch nicht viel Bestätigung und Anregung empfangen.
Bekümmerte ich mich doch auch gar nicht um die „modernen“ Strömungen. Nie
saß ich bei den Debatten in Künstlercafes, studierte ich Zeitschriften und graste

!

' [y-l

o

•s,

S
 
Annotationen