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Hartlaub, Gustav Friedrich; Münter, Gabriele [Hrsg.]
Gabriele Münter, Menschenbilder in Zeichnungen: 20 Lichtdrucktafeln — Berlin, 1952

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https://doi.org/10.11588/diglit.20706#0036
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ich Ausstellungen ab, um zu erfahren, was aktuell sei. Bloß sah ich gelegentlich
Zeichnungen von Gulbransson und Th. Th. Heine, deren Strich nach meinem
Geschmack war. In den Kunstschulen aber herrschte noch viel alte Gewohnheit.
Wenn ich schlichten Umriß gemacht hatte, hieß es, nun gehöre auch noch Schat-
tierung hinein, und wenn ich dem nachgab, gefiel mir meine Zeichnung nicht mehr.

Wer aufmerksam meine Gemälde betrachtet, findet in ihnen den Zeichner.
Trotz aller Farbigkeit ist ein festes zeichnerisches Gerüst da. Meist zeichne ich
meine Bilder mit schwarzem Pinsel auf die Pappe oder Leinwand, ehe ich an
die Farbe gehe. Zugrunde liegt in der Regel eine kleine Bleistiftskizze, die ich
unter dem Eindruck des Motives gemacht habe.

In dem Jahrzehnt zwischen 1920 und 1930 hatte ich keine fruchtbare Zeit
der Malerei. Ich lebte unstet hier und da, bald in meinem Haus in Murnau,
bald in Pensionszimmern, bald als Gast bei Freunden oder Verwandten. Jahre-
lang hatte ich kein Atelier. Da war das Skizzenbuch mein Freund, und die Zeich-
nung der Niederschlag meiner Augenerlebnisse. Gerade damals waren die
Menschen das, was mich an der Welt am meisten interessierte. Im Konzert, bei
Tisch, auf der Eisenbahn habe ich sie beobachtet und meistens heimlich gezeichnet,
ohne daß sie es merkten. Manche haben mir auch „gesessen“. Aber auch da ent-
standen nur Skizzen, Werke des Augenblicks, Abrisse in ein paar Strichen.
„Ausgearbeitet“ habe ich solche Studien nachträglich nicht. Sie waren, wenn sie
in glücklicher Stunde entsprangen, auf Anhieb vollendet. Sie enthielten, was ich
auszusagen hatte, und brauchten nichts weiter, um Bild zu sein.

Nicht alle meine Erlebnisse und Zeichnungen von Menschen sind wichtig. Aber
manche haben die Aufmerksamkeit von Menschenkennern und auch von Kunst-
kennern erweckt. Darum will ich gern eine kleine Auswahl als Kostprobe her-
geben, damit der oft gehörte Wunsch einer Veröffentlichung erfüllt werde.
 
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