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Richtung hat Picasso seit Beginn seines Auftretens wohl am meisten
Aufsehen, Bestürzung, Bewunderung ausgelöst und leidenschaftliche,
ja wütende Ablehnung gefunden — weit mehr als die Gleize, Leger,
Juan Gris und andere Mitstrebende seiner Generation. Kaum einer
hat auch auf den jüngeren Nachwuchs einen so starken, sei es förder-
lichen, sei es bloß verwirrenden Einfluß ausgeübt.

II

Picasso war ein »Wunderkind«. Jedenfalls kennt man von dem
Vierzehnjährigen, der bei seinem Vater, einem Zeichenlehrer, Unter-
richt hatte, Ölgemälde: in einer dunklen, naturgemäß an altspanische
Vorbilder gemahnenden Manier ausgeführte Köpfe, die durchaus
nichts Knabenhaftes, an Kinderzeichnungen dieser Stufe Gemahnen-
des haben, sondern etwas Fertiges. Rapide löst sich der Neunzehn-
jährige dann in Paris, Jahre bevor er dorthin endgültig übersiedelt,
aus dem akademisch-provinziellen Klima von Barcelona los und
findet Anschluß an gewisse spätimpressionistische Kunstströmungen.
Zunächst malt er etwa in der Art eines Bonnard. Doch mit erstaun-
licher Frühreife entwickelt er bereits eine Note, mit der er bei
Kennern und Kunsthändlern auffällt; bereits der Zwanzigjährige
hat im Sommer 1901 bei Vollard ausstellen dürfen, auch nehmen
sich sofort einige der avantgardistischen Kunstschriftsteller, wie
M. Jakob, G. Apollinaire und andere, seiner an. Zwei Jahre spä-
ter tritt Picasso bei Weill gemeinsam mit den damals revolutio-
nären jungen Malern auf, die für eine Reihe von Jahren unter dem
ursprünglich als Spottnamen ihnen zugedachten Schlagwort der
»Fauves«, das heißt der undomestizierbaren Tiere, zusammenhalten
sollten: Matisse, der schon Ältere an der Spitze, daneben dieBraque,
Friesz, Marquet, Dufy, Vlaminck und andere. Innerlich hat er aber
wenig mit dieser Gruppe, welcher in Deutschland bald darauf die
Anfänge der »Brücke« entsprechen sollten, zu tun. Wohl verarbeitet
er einen Lautrec — die Härte seiner Kokottenbilder ins noch Grau-
samere, Makabre übersetzend —, aber im ganzen entwickelt er in
seiner berühmt gewordenen »blauen« und »rosa Periode«, das heißt
also zwischen den Jahren 1901 und 1906, ein völlig für sich stehen-
des lyrisch-soziales Genre aus der Welt der Pierrots, der Harlekine,
fahrenden Leute und Seiltänzer — deren todesnahem Zauber er sich
durch sein ganzes Leben so verwandt gefühlt hat. Ein so noch nie
erhörter Klang tönt uns entgegen. In ihrer herben Traurigkeit,

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