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Hartlaub, Gustav Friedrich
Ansprache zur Wiedereröffnung der Kunsthalle Bremen am 23. Juni 1961 — Bremen, 1963

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https://doi.org/10.11588/diglit.19123#0013
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servator zum Verkauf standen, um von hier in die Salons der begüterten Bürger zu
gelangen. Dieses Überangebot von „Alter Sachlichkeit", wenn ich in Erinnerung an
die unseren Kunstfreunden freilich weniger erquicklich gewesene Mannheimer Aus-
stellung „Neue Sachlichkeit" 1924 so sagen darf, hat zwar meine ersten Sehgewohn-
heiten mitgeprägt, zugleich aber — wohl auch infolge des allzu hartnäckigen Eifers, mit
dem meine Erzieher mir damals diese Ideale aufoktroyieren wollten — frühzeitig eine
gewisse Opposition gezüchtet, zu allzu summarischen Urteilen verleitend, die ich erst
später mehr abzustufen lernte.

Natürlich richtete sich jener konservative, wenn nicht reaktionäre Eifer gegen die Ende
des Jahrhunderts auch bei uns vordringenden „Modernen", diese angeblichen „Nichts-
könner" mit ihren „rohen Skizzen", die die Betrachter geradezu provozierten, soweit
nicht einfach „Verrücktheit" aus ihnen zu sprechen schien. Für Bremen bestand in dieser
Hinsicht insofern eine besondere Situation, als dies Verwerfliche zunächst gar nicht von
weit draußen zu uns eindrang (etwa aus Paris, wo ein „ungenaues" Sehen und eine
„unfertige" Malweise bereits seit Jahrzehnten peinliches Aufsehen erregt hatten), son-
dern unmittelbar vor den Toren der Stadt selbst ein vorgeschobenes Bollwerk zu be-
sitzen schien. Die Worpsweder — eine Malerkolonie, die sich seit Mitte der neunziger
Jahre zusammengefunden hatte, so wie in Frankreich einst die Gruppe von Barbizon,
später die um Gauguin in Pont Aven (Bretagne), zuletzt in Deutschland, von München
ausstrahlend, die Maler vom Dachauer Moos — galten bei uns anfangs als die eigent-
lichen Schrittmacher des Umsturzes, auf die sich darum auch der erste Haß der Ver-
ständnislosen konzentrierte, die aber andererseits als Entdecker der niederdeutschen
Heidelandschaft auch schnell einige Sympathien erobern durften.

Der Kampf um die „Heimatkunst" von Worpswede war nur e i n Symptom für die
allgemeine Intensivierung der Kunstinteressen um die Jahrhundertwende. Der größere
Andrang hatte zur Folge, daß dem Vorstand des Kunstvereins das alte bescheidene
Haus nicht mehr zu genügen schien. Im Zeichen der wilhelminisch-hanseatischen Wirt-
schaftsblüte ließ ein repräsentativerer Neubau denn auch nicht lange auf sich warten.
Er wurde dem einheimischen Architekten Eduard Gildemeister übertragen, der — wie
Sie alle bestätigen werden — seine Aufgabe auf beste bremische Weise gelöst hat; nicht
im veraltenden Neubarock der Gründerzeit, aber auch nicht im vergänglich neu-
modischen Jugendstil, den man nur im Inneren des Hauses nicht ganz vermeiden
konnte. Der Außenbau hielt sich in zeitlos klassischen, mehr griechischen als renaissan-
cistischen Formen: ihre schönen Proportionen, angewandt auf ein edles Baumaterial,
können sich noch heute sehen lassen, während wir bekanntlich dem Jugendstil nur noch
in seinen originären Spitzenleistungen Geschmack abgewinnen.

Selbstverständlich spielten bei der Eröffnung die Werke der Worpsweder mit ihren
leider oft so übergroßen Formaten eine vordringliche Rolle — kurzlebig freilich, wie wir
noch sehen werden.

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