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Hartlaub, Gustav Friedrich
Ansprache zur Wiedereröffnung der Kunsthalle Bremen am 23. Juni 1961 — Bremen, 1963

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https://doi.org/10.11588/diglit.19123#0020
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die mit künstlerischen Erwägungen wenig zu tun hatten. Gewiß war das nicht nur in
Mannheim so. Die Verhältnisse in der Hansestadt, wo noch jene auf gegenseitigem
Vertrauen gegründete Zusammenarbeit zwischen dem Direktor und seiner „Kom-
mission" möglich war (— und ist —), stellten schon damals eine immer seltener werdende
Ausnahme dar.

Freilich hat man in Bremen fürs erste auch, was wenigstens die Anschaffung junger
Kunst anging, möglichst solche Vorschläge vermieden, die an die Aufnahmefähigkeit
und -Willigkeit der vom Kunstverein delegierten Beiräte allzu schroff überfordernde
Ansprüche gestellt hätten. Einem Emil Waldmann, auch darin der Haltung seines Vor-
gängers treubleibend, fiel in den zwanziger Jahren, als der impressionistischen, spät-
und nachimpressionistischen Malkultur in Frankreich, Deutschland und Skandinavien
bereits wieder „neue Wellen" gefolgt waren — die „Symbolisten", die Fauves in Paris,
die Expressionisten bei uns — eine gewisse vorläufige Zurückhaltung nicht schwer.
Immerhin hat Waldmann außer einem Cezanne (schon 1918 erworben), drei hervor-
ragende Corinths — darunter das geniale Grönvoldbildnis aus der Spätzeit — und
neben Edvard Münch (mit der berühmten „Toten Mutter") auch schon Maler wie Beck-
mann, Hofer, Kokoschka („Pariser Oper"), ja einen Matisse, Utrillo und Rouault, von
deutschen Expressionisten wenigstens einige Werke des „Brücke-Kreises" (Kirchner,
Pechstein) angeschafft — wozu noch die zahlreichen, zum Teil auch noch kühneren Er-
werbungen für das Graphische Kabinett gekommen sind. In Mannheim griff man
gegenüber den jungen Avantgardisten der „Brücke" und auch des „Blauen Reiters"
noch schneller und entschlossener zu: an den Impressionistensaal mit Manets „Er-
schießung Kaiser Maximilians von Mexiko" als Mittelpunkt schloß sich hier frühzeitig
(in seinen Anfängen bereits vor 1914) als „Pendant" der große Saal mit Münch, Ensor,
Chagall, mit Nolde und sämtlichen anderen Brücke-Malern an, nicht zu vergessen Franz
Marc, wozu bald auch die Maler der sogenannten „Neuen Sachlichkeit" und des „Magi-
schen Realismus" kommen sollten.

Die beiden Bremer Museumsleiter — der ältere und sein Nachfolger — standen freilich
mit ihrer relativen Reserve keineswegs allein. Sogar ehemalige Pioniere des ersten
Durchbruchs der Moderne in Deutschland dachten nicht anders. Ein Julius Meier-
Graefe zum Beispiel, der gern in Bremen zu Gast war, scheute nicht davor zurück,
in seiner Flugschrift „Wohin treiben wir?" vor dem, wie er befürchtete, allzu jähen
Abbruch einer neugebildeten Tradition zu warnen, an deren Befestigung er selber so
große Verdienste gehabt hatte. Im Grunde war die entscheidende Entwicklung für ihn
und viele andere seiner doch so kühnen und aufgeschlossenen Generation mit van Gogh
und Cezanne zu Ende. Selbst für einen Max Beckmann, über den er positiv geschrieben
hat, scheint er sich anfangs nur mit einiger Reserve eingesetzt zu haben. Auffallender
noch war dies bei Wilhelm Hausenstein, der mit seinen Schriften nicht weniger
anregend auf meine Altersklasse eingewirkt hat und für den sich, tiefer als bei Meier-

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