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N 236.

Donnerſtag, 7. October





Berichte werden gratts beigegeben.
Susfunft ertheilt, die Spaltzeile in Petttſchrift 4 Ir.

4 Der Conſervatismus und ſeine


Wenn man mit allem Recht gegen die
poliliſchen Schlag⸗ und Stidhwörter, Die ſo

viet zur Berwirrung der Begriffe beige-
' 4ragen haben, eifert, und insbejondere guch
fein Heil ſieht in dem bisherigen Parthei-
wefen, und keinen Reichthum in dem Ue-
berfluß an Parıhbeinamen, ſo wird man
ohne Bedauern auch das Wort Confer-
vativ alg Partheibezeidhnung aus
dem politiſchen Conberſations- und Confu-
ſtonslexikon der Gegenwart verſchwinden
jeben, Wie das Woͤrt Liberalismus aus
Franfreich, fo iſt das Wort Conſervatis?
mug aus England zu uns gekommen, und
iſt gleich jenem, vielfachem Mißbrauch unz
terwoͤrfen geweſen, gleich jenem nur zu oft
zur Bedeutungslofigfeit eines Schlag= und
Stichworts herabgefunfen, Brauchte man
ſich eben nicht für einen Heiden zu DHalten,
wenn man die Taufe des liberalen Waffers
nicht erhalten hatte, ſo war es und iſt es
voͤch fehr bedenklich, die Ehre des chriftlichen
Namens durch die Feuertaufe einer gewiſſen
Soͤrte von ereluſivem Conſervatismus zu
erlangen.

Gerade dieſes Wort iſt zur Bezeichnung
eines politiſchen Prineips nicht ſehr geeig-
net; es hat ſeinen richtigen Sinn nur als
Gegenfaß gegen die Parthet, welche in der
völligen Ummälzung und Zerftörung der
beſtehenden O©rundlagen des Staats und
der Geſellſchaft ihre Aufgabe findet. Iſt
dieſe Parthet eine Defiructive, ſo mag man
diefenige, welche gegen dieſes Zerſtören
alles Beſtehenden ſich wendet, die erhaltende-
die conſervative nennen, und in dieſem
Sinne den Namen ſich gefallen laſſen. Allein
immerbhin leidet die Benennung an einem
Mangel, den fchen Herr von Radowitz in
feinen älteren Geſpraͤchen aus der Gegen-
waͤrt (im 15.) hervorbebt, Am liebſten,
ſagt er, (denn Waldheim iſt er felbſt be-
Fanntlich) würde ich mich Liberal nennen
hören; es iſt dies eine edle Sache und ein
ſchoͤnes Wort, leider aber auf immer ver-
geudet. Legitimiſt bat den Beigeſchmack
des heutigen franzöſiſchen Legitimismus, je-
nes unerquicklichen Gehildes, von Eitelteit
und Selbſtſucht. Noyalif iſt in ſentimen-
tafe Ritterlichkeit oder ordindren Despotig-
mus umgefhlagen, Confervativer? Sch
yabe dagegen, daß auch dieſe neuefte Be.
nennung von Hauſe aus an einem Grund-
irrihuͤnie leidet Das Conſexviren, Beharren
ift weber an fich gut, noch das Aufgeben,
Foͤrtbewegen an ſich ſchlecht. Beharren im
Suten ift Pſticht; Beharren in dem, was
eben nur da ift, Unrecht oder Unweisheit.
Fortfchreiten. zum Beffern auf berechtigtem
Wege iſt Iöblich; Forkſchreiten zum Schlech-
iern oder ſelbſt zum Guͤten mit rechtswi-
drigen Mitteln iſt verwerflich. In ſo wohl-
feile Schemata können die Aufgaben der
Gegenwart nicht gefaßt Werdenz es wird
immer darauf ankommen, im gegebenen ein-
zelnen Faͤlle zu erwägen, wobei man be-
haͤrren folle, und wohin man fortſchreiten
dürfe.“

Brlefe und Gelder


Heidelberg: 2 fl. 6 Mr
Die

Preis halblährlichein
ſen
woruͤber die Expeditlon

Diefe Unbeſtimmtheit des Worts hat denn
auch oft genug denen, welche den Fortſchritt,
freilich ein ebenfo vages Wort, auf ihre
Faͤhnẽ fhrieben, den Vorwand geliehen,
die Conſervativen wollten alles erhalten,
gleichviel, ob es gut oder ſchlecht fet, faul
ober lebenskräftig. Nun liegt der Trieb
zum Fortſchreiten zum Beſſern tief in der
Natur des Menfchen, denn das Weſen des
Geiſtes iſt ja Bewegung, ECntwidiung, {m
Gegenfaß zum Thier, das durch den blin-
den unbewußten Trieb und Ynfiinct gebie-


Die Biene baut ihre Zele, der Bieber ſei-
nen Bau, der Bogel fein Neſt wie ver
Tauſenden von Jahten; bei dem Menſchen
iſt's anders; ſeine Geſchichte iſt das Bild
unausgeſetzter Bewegung und fortſchreiten-
der Entwicklung.

Ein Conſervaͤtiver alſo, der in dem Sinn
es märe, daß er allem Beſtehenden ein
ewiges Dafein geſichert wiſſen wollte, wäre
ebenfo thöricht, alg fein Wiberpart, Der
alles Beftehende ſchlecht findet, und cS zer-
fiören will.

Zur Ehre der conſervativen Parthei muß
man aber ſagen, daß ſie in ihrem Kern,
denn einzelne wunderlidhe Käuze ſind nicht
die Vertreter der Gejammtheit, dem Prin-
eip des Conſervatismus einen folchen Sinn,
oder vielmehr Widerſinn nicht beilegte, Das
Wort confervativ im allein zutäſſigen
Sinn fann und ſoll nichts anteres beſagen,
alg daß man in politiſchen Beſtrebungen
zum Augsgangs- Punkte immer die be-
tehenden Verhaͤltniſſe, die vorhandenen
Grundlagen und geletzlichen Beſtimmungen,
den beſtehenden Rechtszuſtand überhaupt
nehmen müſſe. Denen, die dieſe Grundlage
nicht achten, die den Staat zuerſt auflöſen
und dann fo zu ſagen aus Nichis wieder
ſchaffen wollen, dieſen umwälzenden und
zerſtörenden Geiſtern gegenübex fünnen die
Andern ſich die Erhallenden, Conſervativen
nennen, denn ſie wollen allerdings das er-
halten, ohne welches kein gedeihlicher Fort-
ſchritt möglich iſt, öffentliche Ordnung,
Recht und Geſetz die Autoxität, aber nicht
um Alles Schlechte feſtzuhalten, ſondern um


befiehenden Ordnung, ohne Erſchuiterung
des allgemeinen Rechtszuſtandes, Umfturz
der Staͤatsordnung, und unſägliches Elend
das daraus hervorgeht, aus dem Alten ſich
entwickeln zu laſſen.

Der Confervative , im vernünftigen
Sinne des Wortg, verfährt Wwie der
verſtaͤndige Hausbeſttzer. Es wäre eine

ſchlechte Manter, ſein Haus im guten
bewohnbaren Staͤnde zu erhalten, wenn
man, naddem es gebaut wäre, glles nun
beim Alten ließe, weil es neu im beſten
Stande iſt. Je älter das Haus wird, deſto
mebr verlieren die Materialien, aus denen
es befieht, an ihrer urſpruͤnglichen Feſtig-
feit: fle nußen ſich ab, und müffen von
Zeit zu Zeit durch neue erſetzt Werden,
Nicht daduͤrch conſervirt man ſein Haus,
daß man nie eine Ausbefferung darin vor-
nimmt, ſondern dadurch, daß man das
Schadhafte verbeſſert. Wenn man dies un-


terlaͤßt, und immer alles beim Alten läßt,
nun dann freilich erhält man ſein Haus
nicht, fondern man richtet es zu Grund,
und ſetzt ſich der Gefahr aus, dah es einem
über dem Kopf zuſammenſtürzt.
So verhält es ſich auch im Politiſchen.
Auch der Staat iſt kein SGebäude, deſſen
Beflandtheile immer und ewig dieſelben ſind;
er {ft das Wohnhaus was der Menſch ſich
baui; die Maierlalien aber ſind geiſtiger
Natur; Recht, Sitte, Geſetz/ Religlon,
Kunft, Wiſſenfchaͤft, kurz eine unendliche
Mannigfalfigieit von Kräften, deren Eigen-
thümlichkeit gerade, in der Beweglichkeit
und fetem Entwidlungsirieb befteht, Im
Staat alfo iſt es noch viel unmöglicher,
immer nur alles beim Alten zu laffen, und
dem Trieb nach Fortbildung Feſſeln anzule-


lebßt wirft er mit der Kraft des Lampfes
und fprengt das ganze Staatsweſen aus
einander, oder der Staat verfault und die
Nationalität geht unter, Auch den Stagat
confervirt man daher nicht durch Be-
laſſen beim Alten, fondern man richtet ihn
zu Grunde. Beim Haus ſetzt man neue
Balken ein, beſſert das Mauerwerk aus,
erhält das Dach im guten Stand u f W.
Beim Staate muß man den Bildungstrieb
leiten, zügeln, aber nicht unbedingt hemmenz
auch hier überlebt ſich mandes, muß Neuem
weichen, und worin beſteht denn eben der
Vorzug des Menſchen und ſeines Geiſtes
vor dem Tpier und deſſen Inſtinch als Das
tin, daß der Menſch der Entwicklung und
Ver vollkommnung fähig, und ihm keine be-
ſtimmie Form der Thätigkeit und Lebens-
weife ein für allemal beſtimmt iſt, wie dem
Thiere. Auch im Politiſchen muß der Con-
ſervatismus ein Lebendiger ſein, und ſich
darin zeigen, daß er das Leben, die Be-
we gun g leitet, Ueberlebtes beſeitigt, und
nicht nur erbaltend, ſondern auch ſchöp-
feriſch wirkt. Nur dadurch kann er Krank-
heiten des Staats beſeitigen und Revolu-
tionen verhüten. *

Amtliche Nachrichten.

Karlsruhe, 6. Oet. Das Regierungs-
Blatt, Nr. 44, entbält drei Bekanntmachun-
gen des Großh. Miniſteriums des Grobh.
Haufes und der augwärtigen Angelegen-
heiten, a) den am 1..D, eröffneten Belrieb
des Staatstelegraphen zwiſchen Mannheim
und Frankfurt beireffend; b) die Poſtver-
haͤltniffe mit dem Kirchenſtaate, und c) den
Supplementar = Artifel 20 zur Kheinchiſt-
fahrig-Convention von 1830 betreffend. —
Ferner eine Bekanntmachung Ddes Großh.
Finanzminiſteriums, wornach die Staats-
prüfung der Cameral= Candidaten auf den
18. d, angeordnet iß. Endlich Dienſt-
erledigaungen. Die kalholiſche Pfarrei Hei-
tergheim, Amts Staufen, mit einem bei-
laufigen Jaͤhregerträguiß von 1200 f3
die Fatbolifhe Pfarrei Hinterzaxten, Land-
amıg Freiburg, mit einem beiläufigen Jah-
 
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