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Heidelberger Journal (46) — 1852

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Nr. 258-282 (2. - 30. November 1852)
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https://doi.org/10.11588/diglit.66017#1091
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— Donnerftag, 18, November




— die —

Macaulay über die Gegenwart.

Macaulay, Englands berühmter Redner
und Geſchichtsſchreiber, hielt an ſeine Wäh-
ler in Edinburgh eine Rede, welche von
der geſammten europaiſchen Preſſe mit gro-
ßer Aufmerkſamkeit beſprochen wird. Wir
heben aus ihr in Folgendem die auf den
Lontinent Bezug haͤbenden Hauptſtellen her-
vor: Niemals ſeit dem Anbeginn der menſch-
lichen Geſchichte waren fünf Jahre frucht-
barer an großen Ereigniſſen, und niemals
hat ein Luͤſtrum eine furchtbar = feierlichere
Lehre zurücgelaffen. Den Inhalt vieler
Menſchenleben haben wir in dieſer Spanne
Zeit durchlebt; die Revolutionen von Jahr-
hunderten waren zuſammengedraͤngt in we-
nige Monate! Frankreich, Deulſchland, Un-
garn, Italien welch eine Geſchichte ha-
ben ſie gebabt! Als wir uns hier das letzte
Mal faben, war in allen dieſen Ländern
der äußere Anſchein der Ruhe, und Wenige,
auch von den Klügſten unter ung, lichen
ſich einfallen, welche wilden Leidenſchaften,
welche abenteuerlichen Theorien unter die-
ſem ruhigen Aeußern gährten. Ein hart-
näckiger Widerſtand, der nur einen Tag
über ſeine Zeit hinausdauerte — gab das
Signal zum Ausbruch! und im Nu ſtand
von den Grenzen Rußlands bis zum adria-
tiſchen Meer Alles in hellen Flammen, und
Alles war in Schrecken und BVerwirrung
geſtürzt. Die Straßen der feſtländiſchen
Haͤupiftãdte thürmten ſich zu Barrikaden
‚auf, und ſtrömten von Bürgerblut.

Das Haus Orleans floh aus Frankreich,
der Papſt floh aus Rom. Der Kaiſer von
Oeſterreich war nicht ſicher in Wien. Eine
Volksregiernng ward in Florenz errichtet,
eine Voͤlksregierung in Neapel, und Rom
traͤumte noch einmal von den Graͤcchen und
von Rienzi. Ein demokraͤtiſcher Convent
jaß in Berlin, ein demokratiſcher Convent
tagte in Frautfar! Sie erinnern ſich gewiß
nur allzuwohl wie einige von den weifeften
und redlichſten Freunden der Reform, Män-
ner/ geneigt die Ausſchweifungen, welche
von der gewaltſamen Eroberung politiſcher
Freiheit ünzertrennlich ſind, mit Nachſicht
zu betrachten, doch an der Zukunft des Men-
ſchengeſchlechts zu zweifeln und zu verzwei-
feln anfinden. Sie erinnern fih, wie Groll
und Feindfchaft jeder Art, nationale, reli-
glöſe und fociale, zugleich mit dem politi-
ſchen Groll hervorbrach. Sie erinnern ſich,
wie mit dem Haß unzufriedener Unteriha-
nen gegen ihre Regierungen ſich der Haß
von Nation gegen Nation, der einen Klaffe
gegen die andere miſchie.

Was mich ſelbſt betrifft, ich war in tief-
ſter Beſturzung ¶ stood.aghast), und wie-
wohl fanguinijden Naturell$ und von vorn
herein geneigt, hoffnungsvoll auf den Foͤrt-
ſchritt der Menſchheit zu plicken, zweifelte
ich einen Moment lang ob der Eirom der
Geſchichte ſich nicht umgefehrt, und od wir
nicht verdammt ſeien, aus der Civilifation
des neunzehnten Jahrhunderts in die Bar-
barei des fünften zurückzuſinken. Wohl ge-
dachte ich daran, Adam Smith und Gibbon


Sournals

hatten uns geſagt: eine Vernichtung der
Civilifation duͤrch die Barbarei ſei nicht
mebr zu beſorgen. Dieſe Fluth, lehrten ſie,
werde nicht mehr zurückkehren, um die Erde
zu bedecken; und ihre Behauptung ſchien
richtig, in ſö feru ſie die unermeßliche Kraft
des beſittigten Theils der Erde mit der
Schwäche der noch im Stande der Wild-
heit gebliebenen Theile verglichen.

So fragten ſie: woher follen die Hunnen
und Vandalen lommen um die Eiviliſalton
zu zerſtören? Es kam dieſen Männern nicht
in den Sinn, daß im Schooße der Civili-
ſation ' felbft ihre * rftörer entſpringen
könnten. (Hoört!) Eg fiel ihnen nicht ein,
daß im Herzen großer Hauptſtädte, unwit-
telbar in der Naͤchbarſchaft glänzender Pa-
laͤſte und Kirchen und Theater, Bibliotheken
und Mufeenm, Laſter und Unwiſſenheit ein
Geſchlecht von Hunnen hervorbringen könn-
ien wilder und grimmer, als die Horden
Mitila’®, und zerfiörungsluftiger , alg die
Vandalen SGenferichs, (Beifall.) Das war
die Gefahr. Sie ging vorüber, und die
Civiliſation war gerettet; aber — um wel-
chen Preis! Die Fluth des Demokratismus
ebbte faſt ſo ſchnell, als ſie geſtiegen war.
Unkluger und harmäckiger Widerſtand gegen
vernünftige For.erungen hatte die Anarchie
herheigeführf, und ſobald die Menſchen die
Uebel der Anarchie ſahen, flohen ſie er-
ſchreckt, um zu kriechen zu den Füßen des
Deſpolismus.

Auf die Herrſchaft mit Piken bewaffneter
YPöbelhaufen folgte die ſtrengere und dauer-
haftere Herſchaft ſtehender Armeen .. v .4
Auf weiten Länderfireden des Continents,
wo wir vor vier Jahren vergebens nach
einer feſten Autorität umſchauten, blicken
wir jetzt vergebens um nach einer Spur
conſtitulioneller Freiheit. (Hörth Wir aber,
meine Herren! wir Britten wir blieben
unterdeffen verſchont von dieſen beiden Trüb-
ſalen, welche Ruin um uns her verbreitet
haben, . Der Wahnſinn von 1848 hat nicht
unfern Thron geſtürzt oder erſchüttert; die
Reaction, welche nachfolgte hat nicht un-
ſere Freiheiten berührt. Wie kam Das?
Warum war unſer Vaterland, während die
zehn egyptiſchen Plagen rings um es hex
wütheten, waͤrum war es ein Land Goſen?
Draußen allüberall feuriger Wetterſchlag
und Sturm — ein Sturm wie er nie da-
geweſen, ſeit Menſchen auf der Erde woh-
nen; hier aber Alles rubig. Dann draußen
wieder Nacht, tiefe ſtille Nacht, theilweiſe
eine Finſterniß, die ſich mit Händen greifen
läßt; hier aber in unſern Wohnungen Licht,
ſectenerfreuendes Licht! Dies, meine Herren!
verdanken wir, nach Goͤtt unferer weiſen
und edeln Verfaſſung, dem Werke vieler
Generationen großer Männex.

Laſſen Sie ung Gewinn ziehen aus den
Lehren, die uns auf Koſten anderer Völker
geworden ſind; laſſen Sie uns die Erfah-
rung anderer fuͤr dieſe beklagen und für
uns beherzigen. Schätzen wir unfere Ver-
faſfung hoch und halien ſie werth! Reinigen
wir ſie, verbeſſern wir ſie, aber zerſtören
wir ſie nicht! Vermeiden wir die Extreme,



— Geidelberg: 2 ⏑
8 i ‚Die Landwirth{hafılihen
Expeditlon

gewiſſes Uebel iſt, ſondern auch weil die
Erfahrung lehrt, daß jedes Ertrem noth-
wendig in ſein Gegentheil umſchlägt. Wenn
wir die bürgerliche und die religiöſe Frei-
heit lieben fo laſſen Sie - ung an jedem
Tage der Gefahr, Geſetz und Ordnung, ſo
laſſen Sie uns als deren beſten Hort die
bürgerliche und religibſe Freiheit achten.
(Hoͤrt!) Ja, meine Herren! Der Srund,
warum unfere Freiheit aufrecht beſteht ina
mitten faſt allgemeiner Knechtſchaft — daß
die Habeas⸗ Corpus Akte niemals in dieſem
Lande ſuſpendirt worden iſt, daß die Preſſe
frei ift, daß wir das Recht freier Bereinte
gung genießen, daß unſer Repräſentativ-
yſtem in ſeiner ganzen Kraft florirt — ‚Dder
Grund davon iſt! wir ſind im Jahre der
Revolution feſt zu unſerer Regierung in
ihrer Gefahr geftanden; und wenn man
mich fragt, warum wir zu anſerer Regie-
rung geflanden, während die Voͤlker rings
umber bemüht waren, ihre Regierungen
niederzureißen, ſo iſt meine Antwort: weil
wir wußten, daß unfere Regierung obwohl
leine vollfommene, doch eine gute Regie-
rung war daß ihre Fehler friedliche und
geſetzliche Heilmitttel zuließen, daß ſie ge-
rechten Forderungen ſich niemals unbeug-
ſam widerfeßt, daß wir Zugeſtaͤndniſſe von
unſchätzbarem Werth erlangt, nicht dadurch,
daß wir die Trommel rührten, die Lärm-
gloöcken läuteten, das Straßenpflaſter auf-
riffen und die Läden der Waffenſchmiede
plünderten, ſondern duxch die bloße Gewalt
der Vernunft und der öffentlichen Meinung.

Deutſchland.

Karlsruhe, 14. Nov. (Fr. P.) Zu Ende
dieſer Woche wird hierſelbſt die Confirma-
fion der zweiten Schweſter Sr. königl. Hoh.
des Regenten, die Prinzeſſin Marie großh.
Hoh., ſtattfinden und ſollen dem Vernehmen
nach zu dieſer Feierlichkeit die nächſten Ver-
wandien der Prinzeſſin, der Herzog und
die Herzogin von Coburg, ſowie die Prin-
zen Wilheim und Karl von Baden Erſte-
rer von Potsdam, Letzterer von Verona
hierher kommen. — In unterrichteten Krei-
ſen will man von einem baldigen Ende der
obſchwebenden Zollvereiasdifferenzen wiſſen,
und zwar ſo, daß der Zollverein mit Preus
ßen erhalten bleibt. Baden hat ſich bekannt-
lich während der gaͤnzen Kriſts mit der
möglichſten Zurückhaltung und Vorſicht be-
nommen; im Hinblick auf ſeine geographiſche
Lage konnte es ſich einem Anſchlüß an die
Coalition nicht wohl entziehen, einem ag-
greſſiven Schritt geqen Preußen hat es ſich
indeß niemals angeſchlofſen. Bei allen; die
in dieſer Saͤche klaͤr und ohne vorgefaßte
Meinung urtheilen, ſtand übrigens die An-
ſicht von Hauſe aus feſt, daß eine Trennung
von Preußen zu den ungünſtigſten Eventua-
litaͤten geböre; man freut ſich darum um
ſo mebhr, daß es zu einer ſolchen nicht kommt.
— Sn der vergangenen Woche war eine
Generalverſammlung der Actionäre der
Waghäuſeler Zuckerfabrik am hieſigen Orte
Das daͤbei bekannt gewordene Refaltat ſoll,
wie verlautet, ſehr günſtig ſein.
 
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